Predigttext Joh 5,24ff
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- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Christus spricht: „Die mein Wort hören, haben das ewige Leben. Sie kommen nicht in das Gericht, sondern sind vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Die Stunde wird kommen - und ist jetzt schon da - , dass die Toten hören die Stimme des Sohnes Gottes. Sie werden hören und leben. Alle, die in den Gräbern sind, werden diese Stimme vernehmen. Und hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“ (Joh 5,24ff)
Ja - es gibt diese besondere Lebensphase. Sie folgt auf die Zeit der großen Triebe und Pflichten. Der Mensch muss sich irgendwann eingestehen, dass der Körper seine Aufgabe erfüllt hat. Jahrzehnte lang hat er uns angetrieben. Über Straßen und Plätze, in die Konkurrenz der Geschlechter, in Arbeit, Sorge, Fortpflanzung - alles was die Welt stabil hält. Doch dann begann eine Verschiebung, zuerst kaum bemerkbar. Die äußeren Ziele verloren ihre Schwerkraft, und eine andere Stimme trat nun hervor. Der oben zitierte Text nennt es die Stimme des Sohnes Gottes – eine Stimme, die Tote rufen kann. Und mit „Toten“ sind nicht nur die gemeint, deren Körper bereits endgültig schweigen. Alle jene sind gemeint, die merken, dass ihr eigentliches Leben nicht mehr nur im Stofflichen beheimatet sein will.
„Es kommt die Stunde und ist schon jetzt“ – das bedeutet: Der Übergang beginnt im Leben selbst. Wer älter wird und trotzdem immer nur noch die Gewohnheiten jüngerer Jahre nachahmt, bleibt gefangen im Kreislauf des Stoffes, der sich unausweichlich auflöst und zurück sinkt. Das Evangelium bietet einen anderen Weg an. Das ist der Aufstieg in die Wirklichkeit der Sprache und des Hörens.
Denn der Mensch ist das Wesen, das sich durch das geschriebene, gesprochene, gehörte und gelesene Wort verwandeln kann. Wenn der Körper nachlässt, ist das keine Niederlage, sondern Einladung, die Kräfte neu zu ordnen: Zahlen, Zeichen, Melodien zu bewegen; die großen Texte der Bibel, Oper, Poesie nicht nur zu kennen, sondern im Inneren zum Klingen zu bringen. Worte werden Leiter, jede Silbe eine Stufe. Wer sich darauf einlässt, berührt jene Wirklichkeit, von der die Engel Tag und Nacht nehmen. Nicht Stoff, sondern Sinn.
Die Griechen nannten den Stoff ὕλη (Hyle) – das Formlose, das sich ständig verwandelt und deshalb keine Erinnerung trägt. Wer sich nur im Stoff verausgabt hat, fällt am Ende in dessen namenlosen Kreislauf zurück. Die „Auferstehung zum Leben“, von der Jesus spricht, meint den geistigen Aufstieg jetzt. Das Durchdringen der eigenen Endlichkeit, bis das innere Ohr frei wird für die rufende Stimme.
Altwerden lehrt diese Verwandlung. Der Mensch darf lernen, den Körper loszulassen, ohne ihn zu verachten. Den Geist zu schärfen, ohne ihn zu überanstrengen. So wächst man hinein in jene Freiheit, die nicht aus Kraft stammt, sondern aus Klarheit. Der obige Text ist darum keine Drohung, sondern ein Angebot. Dass der Mensch hören kann, was ihn über sich selbst hinausführt. Wer hört, lebt. Wer antwortet, beginnt aufzusteigen.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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