ZEITUNG IM AUGUST 2025
GLAUBE & HEIMAT

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Er hatte, am letzten Morgen seines Urlaubs, als einer, der sich längst schon in die schmale Rinne des Heimwegs hineingezwängt sieht und der Rückreise partout nicht mehr ausweichen kann, den Weg zum Bahnhof über die Strandpromenade genommen. Über diesen Streifen, der in schattenloser Vormittagshelle gleißend vor ihm lag, flankiert von kleinen Läden und Kiosken, deren Inventar ihm längst bekannt, ja durchaus so vertraut war, dass jede neue Annäherung eher einer müden Wiederholung als einer fröhlichen Überraschung glich, schritt er jetzt mitsamt seinem hinter ihm her polternden Rollkoffer. Und dort nun, am dritten Kiosk von der Ecke, stand der Zeitungsverkäufer. Ein Mann mit der Miene eines Menschen, der weiß, was die Stunde geschlagen hat, nicht nur für sich, sondern für alle, die ihm in diesen letzten Tagen begegnen; er wusste, dass die Saison vorbei, der Strom der Gäste versiegen, das Licht flacher, der Wind bissiger, die Kälte von innen kommen würde und die Tage in ihr eigenes Leergehen hineinliefen - unweigerlich, und er wusste, dass der da, der sich jetzt näherte, einer war, der nicht wiederkehren würde, nicht in diesem Jahr, vielleicht auchüberhaupt niemals wieder.
Der Zeitungsverkäufer warf, in einer Geste, die weniger Verkaufstechnik als rituelles Auswerfen der letzten Netze war, seine Zeitungen noch einmal heraus, in vollem Satz, alles auf einmal, den ganzen Restbestand wie ein Kartenspiel auf den Tisch, als wollte er sagen: Nimm oder lass, es ist ohnehin egal.
Der Urlauber – wir nennen ihn so, weil er sich in diesem Moment noch für einen hielt – trat an den Ständer, diesen metallenen Apparat mit den drehbaren Fächern, in denen der dünne, graue Geruch von Druckerschwärze und salziger Luft sich zu einer Note verband, die Seebädern zu eigen ist, und er griff zu, nicht um zu kaufen, sondern um zu drehen, den Turm rotieren zu lassen, das Rad der gedruckten Welt anzustoßen, und was er sah, war – für ihn – aufschlussreicher als der Blick in den Spiegel eines großstädtischen Schaufensters oder auf ein menschliches von der Urlaubssonne gebräuntes Angesicht.
Zuerst DIE ZEIT, und er dachte, sofort und ohne Umwege, wie automatisch: Alternde Pfarrfrauen, mit ihrem Hang zum moralischen Essay, zu Kochrezepten im Feuilletonformat, zu diesen weichen, pastoralen Kommentaren, die den Leserinnen das Gefühl geben, sie selbst seien tatsächlich Teil einer diskreten, bildungsbürgerlichen Logenwelt, zu der natürlich auch die monströsen Todesanzeigen von allerlei mit amüsanten Titeln beschmückten honorablen Personen gehören musste.
Dann CATO, dieses Magazin für jene Leute, welche sich für Intellektuelle halten, nein, die wissen, dass sie es irgendwie sind, und solches - das Druckerzeugnis - deshalb ausstellen wie einen Einrichtungsgegenstand, als wäre das Heft nicht zum Lesen, sondern zum öffentlichen Liegenlassen gedacht.
Er drehte weiter, sah Die Junge Freiheit. Es zuckte in ihm, weil er wusste, dass solch ein Blatt an einem offenen Stand wie diesem eine Art stiller Mutprobe bedeutete, ein Schild, das wie eine Zielscheibe wirkt, eine Einladung für Aktivisten mit Steinen, Lackdosen und widerlichen Sprüchen.
Gleich daneben Cicero, das Blatt für Leute, die sich in einer wohltuenden Grauzone eingerichtet haben, nicht festgelegt, aber formvollendet, mit einer leichten Neigung zur Rechten oder Linken, je nach Gesprächspartner, immer aber salonfähig bleibend.
Und dann kamen sie alle, die kleinen Lokalzeitungen, Möwenflug und Strandläufer, Namen wie Ansichtskarten aus einer Welt ohne Nachrichten, gefüllt mit Vereinsjubiläen, Sturmwarnungen und den Gesichtern von irgendwelchen Bürgermeistern, die schon in der dritten Amtszeit angekommen waren.
Nach einer weiteren Drehung des quietschenden Aufstellers erschien plötzlich Compact, ein Magazin, das von der ehemaligen Ministerin Nancy Faeser kürzlich verboten worden war, um der Demokratie einen Gefallen zu tun, wie sie sagte, aber das nun als Heft wieder auftrumpfender als je erscheint, weil sich herausgestellt hat, dass die Demokratie nicht an einem solchen Heft zugrunde gehen wird. Und dann - tatsächlich ganz direkt und gleich daneben - die Alpenprawda, genannt auch Süddeutsche Zeitung, naiv bis ins Mark, Gewissen der Nation, das seine Leser mit den immergleichen Moralreportagen füttert.
Schließlich, als hätte sich der Ständer seinen inneren Kern, sein Herz, für den Schluss aufgehoben, Glaube und Heimat, die Kirchenzeitung ... Und er, der Urlauber - da griff er zu. In diesem Griff lag alles: das Gefühl, hier sei Fleisch von seinem Fleisch, Bein von seinem Bein, Intellekt nicht zu scharf, Unterhaltung nicht zu ironisch, und eben Glauben, der als Heimat noch etwas taugen würde. Gut für Heimreisen jeglicher Art.
Der Urlauber bezahlte, Münzen wechselten die Hand, er nahm das Blatt unter den Arm, lief den Weg hinauf Richtung Bahnhof. Und kurz bevor unser Mann die letzte Biegung nahm, drehte er sich noch einmal um, aus einer Mischung von Pflicht, Dank und einem unbestimmten Ahnen, dass sich ein abschiedlicher Blick lohnen könnte ...
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