Katharinenkirche von Gebesee
ERINNERUNGEN

1. "Willkommen, süßer Bräutigam".
Unsere Mutter, Annemarie Steiger geb. Neubauer, war Kantorin und hatte einen richtigen C-Abschluss. Als
solche spielte sie die Orgel, leitete den Kirchenchor und den Kinderchor und gab (privat) Klavier-Unterricht.
Ein bis zweimal im Jahr wurde ein Konzert  für die Katharinenkirche vorbereitet und durchgeführt, die sogenannte "kleine Kirche", gleich neben dem Schloß gelegen. Eine Orgel gab es dort nicht, ein Klavier eben-sowenig; ein Cello oder Fagott hatten wir nicht. Den Continuo-Part musste Mutter also auf einem Harmonium
spielen. Ich erinnere mich an Vincent Lübeck (1654-1740), "Willkommen, süßer Bräutigam", Kantate für Sopran, Alt und Bass, zwei Violinen, Chor und Continuo. Wer Alt und Bass gesungen hat, weiß ich nicht mehr. Den Sopran aber sang klar und mit kräftiger Stimme unsere Freundin Hanna Hoffmann, der Chor war ausgeglichen besetzt, und die zweite Violine spielte neben mir mein Freund Manfred Mahnke. Es ist eine fröhliche kleine Weihnachtskantate, und die Geigen haben darin eine ganze Menge zu streichen. Gelungen und unvergessen!

2. Martin als Predigt-Eleve.
Meine erste Predigt habe ich mit Vater Herbert Steiger und meinem Bruder Friedemann in der Laurentius-Kirche gehalten. Predigttext war Römer 12,12: "Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet." Der Vers hat eine natürliche Gliederung. Ich, als der Jüngste, durfte beginnen mit der Aufforderung:
"Seid fröhlich in Hoffnung." Ich war also ein Teil-Prediger. Wovon habe ich gesprochen? Wenn ich mich recht erinnere, von Paul Gerhardt und seinen wunderbaren Liedern: "Die güld'ne Sonne voll Freud und Wonne",  "Du meine Seele, singe", "Geh aus, mein Herz, und suche Freud" könnten es gewesen sein? Ich weiß auch sicher, dass ich einmal in der Katharinen-Kirche gepredigt habe. Text, Umstände und Sonntag im Kirchenjahr hat die Zeit verwischt. Doch ein Satz unserer langjährigen Haushalthilfe Gerda Kasner geb. Frenzel ist hängen geblieben: "Mein lieber Martin, da hast du es uns ja ganz schön gegeben...!"

3. Viele Kinder und eine Generalsfrau.
Wenn ich an die Katharinen-Kirche denke, dann fallen mir auch die Kinder-Gottesdienste der Nach-Kriegs-Zeit mit sehr vielen Kindern ein. Unsere Hauptkirche, dem Heiligen Laurentius gewidmet, war ja gegen Ende des Krieges noch zerstört worden. Irgendwelche SS-Männer hatten Gebesee "zur Festung" erklärt und ein paar Schüsse gegen die Amerikaner abgegeben, bevor sie sich in Richtung Süden absetzten. So machten es die US-
Boys wie immer in solchen Fällen: sie zogen sich zurück und hielten mit ihren Geschützen  erst einmal drauf. So ein Kirchturm ist ein wunderbares Ziel, und das weiße Bettlaken als Zeichen der Ergebung, das Lina und Hugo Funke in der Nacht des 10. April 1945 unter Lebensgefahr aus dem Turm gehängt hatten, war im Morgennebel nicht zu erkennen gewesen. Das Pfarrhaus von Gebesee liegt süd-östlich der Kirche, und die Amerikaner kamen von Westen. Ich höre noch die kleine Maria, unsere Schwester, fast drei Jahre alt, während wir verängs-tigt im Keller hockten, mit dem Satz: "Das hat aber dewummert!" Ja, der Turm war getroffen, ebenso Teile der Pfarrscheune; die Nordseite der Kirche war zerstört (Mehrere Blindgänger liegen noch heute in der Tiefe vor dem Altar!). Da konnten erst einmal keine Gottesdienste stattfinden. So wich man in die kleine Kirche aus. Gebesee war voller Flüchtlinge und Vertriebener, darunter viele Kinder!
Eine von denen, die damals Kinder-Gottesdienste hielten, war neben unserem Vater und Rektor Naevy eine
Frau Hernekamp, Frau von General-Leutnant Karl Hernekamp. Jahre später, im Kulturstadt-Jahr von Weimar (1999), genau am Abend zuvor, sitzen wir einen ganzen Abend lang mit einem Hamburger Juristen unseres Alters zusammen,  mit dem wir, meine Frau und ich, ein angeregtes Gespräch haben. Wir hatten uns bekannt gemacht, doch bei dem Namen Peter Hernekamp klingelte bei mir erst einmal gar nichts. Bei ihm allerdings auch nicht bei meinem Namen. Als wir am nächsten Tag bei Lenchen Schmidt im Hausschwesternhaus von Weimar einen Neujahrs-Besuch machen (Lenchen Schmidt war eine gelernte Kochfrau aus Gebesee, die alle Feste im Hause Steiger und ganze Rüstzeiten bekochte! Ich habe im Jahre 2001 in Gebesee ihre Trauerfeier gehalten.), da stellte sich heraus, dass unser Nachbar von der Sylvester-Feier auch bei Lenchen Schmidt einen Besuch gemacht hatte, weil  er der Sohn jener Frau Hernekamp aus meinen  Kindertagen war. Wie das Leben so spielt!

P.s.: Bei meinen Bemerkungen zum Kriegsende in Gebesee stütze ich mich neben meinen eigenen Erinnerrun-             gen auf die Recherchen meines Bruders Georg (Neues von der Sprachenverwirrung, 2014, S.101-105).

Autor:

Martin Steiger

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