Sonntagsreden zu Alltagsfragen: »Was ist uns heilig?«

Feridun Zaimoglu | Foto: Melanie Grande
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Von Christine Lässig

Sonntagsreden. Nachdenken über das Heilige sonntags um 11 Uhr – nicht in der Kirche, sondern im Deutschen Nationaltheater. Seit 1994 gibt es die Weimarer Reden jedes Jahr im März zu den unterschiedlichsten Themen. Eine Erfolgsgeschichte.
Diesmal also die Gretchenfrage: »Wie hältst du’s mit der Religion?« Oder eben allgemeiner gefragt: »Was ist uns heilig?« Ein weites Feld. Drei Prominente waren auf die Bühne gebeten worden: ein Muslim, ein Katholik und eine Jüdin. Martin Luther hätte wohl für alle drei Redner nicht viel übriggehabt, mutmaßte Feridun Zaimoglu (52), der als Erster auftrat und in einem Vorgespräch mit der Journalistin Liane von Billerbeck auf seinen Luther-Roman »Evangelio« angesprochen wurde. »Es war eine unversöhnliche Zeit.«
Das ist jetzt zum Glück anders, jedenfalls hier und heute. Wer den Sonntagsreden zugehört hat, kann sich lebhaft vorstellen, dass der muslimische Schriftsteller und Künstler mit dem Psychiater und katholischen Theologen Manfred Lütz (63) und der Journalistin und Rabbinerin Elisa Klapheck (54) sehr gut auskommen könnte. Der jeweilige Kontext ist verschieden, man weiß, wo man herkommt, aber allen ist eine große Offenheit gegenüber jedem eigen, für den anderes heilig ist.
Auf eine poetisch-literarische Spurensuche nach dem Heiligen im Alltag machte sich eigens für diesen Anlass Feridun Zaimoglu und ging – überraschenderweise – von der ersten Seligpreisung Jesu im Lukasevangelium aus. »Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer.« Und weil es für diesen Schriftsteller unverzichtbar ist, dass »Wort und Körper beieinander sind«, wie er sagt, ging er hin zu den Armen.
Was ist kostbar und unverzichtbar, fragte er den Rentner, den man den Krüppel nennt; der immer zwei Schnäpse zu viel trinkt und mit einem jungen Syrer befreundet ist. Heilig sind ihm die Kleider seiner verstorbenen Frau, mit der er jeden Abend spricht. – Und Zaimoglu ging zu der jungen Frau an der Kasse des Discounters, Vater tot, Mutter dement und der Bruder untauglich fürs Leben. Sie putzt nebenbei, hat Probleme mit der Liebe und hasst philosophierende Männer. »Meine Mutter ist mir heilig, mehr musst du nicht wissen.« – Und Zaimoglu ging zu dem verarmten Dichter, der wirre Geschichten erzählt, und zum Kommunisten, mit dem nicht wirklich zu reden ist vor lauter Dogmen. Er sieht die Armen der Bahnhöfe, die Kippengreifer und Pfandflaschensammler, die Obdachlosen und
Trinker, Fremde und Einheimische. Aber er sieht auch Menschen, denen es etwas ausmacht, dass ihr Nächster hungert. Spurensuche ganz unten.
Die zweite Rede war ganz anderer Art. Obwohl von seinem Buchhändler gewarnt (Theologensprache ist unverkäuflich), hat Manfred Lütz ein Bestsellerbuch über »Gott. Eine kleine Geschichte des Größten« geschrieben, sehr unterhaltsam, sehr tiefgründig und in einer Sprache, die nachweislich auch sein Metzger versteht. Einen Teil davon hat er unter der Überschrift »Die Werte, die Wahrheit und das Glück« in Weimar zum Besten gegeben. »Geht’s nicht ein bisschen kleiner?«, wurde im vorausgehenden Interview gefragt. In aller Bescheidenheit, nein, findet er, denn Kirche, Beten, Glaube – das gehöre in die Öffentlichkeit. Man müsse den religiösen Bürger im säkularen Staat wieder ernst nehmen.
In einer Zeit, in der Menschen auf Glücksratgeber hören oder Drogen nehmen, als ob das Glück machbar sei, die vorbeugend leben, um dann gesund zu sterben oder die Ewigkeit leugnen und damit ihr Leben verkürzen, sei die Frage nach Gott wichtig. Für ihn als bekennenden katholischen Christen ist klar: »Gott allein ist mir heilig.« Und da Manfred Lütz nicht nur Theologie, sondern auch Humanmedizin, Psychiatrie und Philosophie studiert hat, Humor besitzt und mit offenen Augen durch die Welt geht, war es für Gläubige und Atheisten gleichermaßen ein anregendes Vergnügen, ihm zuzuhören.
Vom »Judentum als politische He­rausforderung« handelte die dritte Rede. Welche Werte sind uns heilig? Säkulares und Religiöses waren schon im Alten Testament zwei Seiten einer Medaille, das wurde im Talmud unter veränderten Bedingungen fortgeschrieben und ist bis heute in der Diskussion. Elisa Klapheck, von Hause aus Politologin und Journalistin, ist eine von insgesamt sieben Rabbinerinnen in Deutschland. Holocaust und Opferrolle sind ihr Thema nicht, sie will sich aktiv in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einmischen – als Rabbinerin in ihrer Frankfurter Einheitsgemeinde, wo orthodoxe und liberale Juden aus vielen Ländern gut miteinander auskommen, als Professorin mit einem Lehrstuhl für jüdische Studien in Paderborn und als Autorin zahlreicher Bücher. Was kann das Judentum auf seinem Weg ins messianische Zeitalter beitragen zu einer gerechteren Gesellschaft? Wie war das doch mit dem Zehnten? Welche Rechte hat der Einzelne in einem Gemeinwesen und welche Pflichten? Wie sieht der Minimalkonsens aus, der Pluralismus möglich macht? Alte Fragen nach heiligen Werten ganz aktuell.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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