DREI PLUS EINE KRÄNKUNG
UND DER TRIUMPH DES GEBETS

drei plus eine Kränkung - und ein stiller Triumph

Drei plus eine Kränkung der Menschheit – und der Triumph des Gebets
Man hat gesagt, der Mensch sei durch drei große Kränkungen gegangen – drei Stöße gegen seinen Stolz, gegen sein Weltbild, gegen sein Selbstverständnis hätte es innerhalb der letzten 500 Jahre gegeben. Eigentlich sind es aber sogar vier schlimme Sachen ... Die erste kam aus den Sternen.

I. Früher glaubte der Mensch, er stünde im Zentrum. Die Sonne kreise um ihn. Der Himmel sei ein Zelt, aufgespannt über seiner kleinen Welt.Dann kam Kopernikus – und später Kepler – und mit ihnen der Schock: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt. Sie ist ein Planet unter vielen. Ein Staubkorn, das um ein mittelmäßiges Licht kreist, irgendwo in einem der äußeren Spiralarme der Milchstraße. Das war die kosmologische Kränkung. Die Entthronung des Menschen durch das heliozentrische Weltbild.

Und doch: Gerade in dieser Entthronung ging ein Licht auf. Denn der Mensch, der nicht mehr im Zentrum steht, kann nun um so mehr seine Knie beugen – nicht vor sich selbst, sondern vor dem Unendlichen. Er kann beten. Das Gebet ist der Triumph über den Bedeutungsverlust. Denn selbst wenn wir nicht mehr im Mittelpunkt des Weltalls stehen, können wir uns ausrichten – auf das, was größer ist als wir. Beten heißt: in eine Richtung sprechen, auch wenn man nicht weiß, wer antwortet. Das Gebet ist eine Bewegung des Geistes, hinaus aus dem Ich, hin zu dem, der vielleicht ist. Und wenn er nicht ist – dann dennoch ist das Gebet da. Wie eine flammende Kerze im Nichts.

II. Die zweite Kränkung kam aus dem Dschungel.
Jahrtausende lang meinte der Mensch, er sei göttlich. Ein wenig niedriger als die Engel geschaffen. Er sah sich als Krone der Schöpfung. Doch dann kam Charles Darwin. Und mit ihm die Erkenntnis: Der Mensch ist ein Tier. Ein besonderes, zweifellos – aber hervorgegangen aus Jahrmillionen von Mutation und Selektion. Der Mensch stammt nicht vom Himmel – er stammt vom Affen ab. Das war die biologische Kränkung. Ein weiterer Schlag gegen das Selbstbild.

Es gilt mit ziemlicher Sicherheit: Das Tier betet nicht. Der Affe baut keine Altäre. Nur der Mensch vermag die Hände zu falten, die Augen zu schließen und sinnvoll zu sprechen, ohne zu wissen, ob ihn jemand hört. Nur der Mensch kennt auch die Stille, die spricht. Nur der Mensch kann sich schämen – und hoffen. Er kann flüstern, ohne Antwort zu erwarten – und darin liegt sein Adel. Das Gebet ist jedenfalls nicht das Erbe des Affen. Oder doch? Es ist auf jeden Fall der Durchbruch zum Geist. Es ist nicht Kommunikation unter unseresgleichen, sondern Kommunion mit dem ganz Andren. Ist die geheimnisvolle Teilnahme an einer Gegenwart, welche nicht bewiesen werden kann und deshalb auch nicht bewiesen werden muss.

III. Die dritte Kränkung kam aus dem Inneren.
Schlomo Siegismund Freud entdeckte: Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus. Wir sind getrieben – von Wünschen, Ängsten, Trieben, die wir nicht kennen und nicht kontrollieren. Der Mensch ist nicht frei – sondern ein Geflecht aus Wiederholungen, Verdrängungen, biografischen Wunden. Das war die psychologische Kränkung.

Und doch: Der Mensch kann beten, obwohl er sich selber gar nicht versteht. Oder kann das sogar gerade nur deshalb. Das Gebet ist die Sprache eines Wesens, das nicht weiß, wer es ist, aber dennoch spricht. Es ist die Bewegung des Unbewussten nach oben. Nicht zur Selbstoptimierung – sondern zur Selbstüberwindung. Beten heißt: Ich weiß nicht, wer ich bin. Aber ich wende mich an das Du, das mich vielleicht umfassender kennt, als ich mir vorstellen will. Und solches ist kein Rückfall in banale Infantilität – es ist die höchste Form geistiger Arbeit: eine Sprache jenseits der Sprache.

IV. Die vierte Kränkung – durch die Maschinen
Die vierte Kränkung kommt nicht von außen, nicht aus den Sternen und nicht aus dem Tierreich, nicht aus der Tiefe der Triebe – sie kommt aus dem Labor. Der Mensch, der sich einst vom Affen abstieß, sieht nun sein Ebenbild im Wellenspiel der Algorithmen. Eine Maschine, die schneller denkt, exakter erinnert, unermüdlich lernt. Der Mensch hat das geschaffen – und dieses alles übertrifft ihn bald. In Schach, in Sprache, in Simulation von Gefühl. Das ist die technologische Kränkung: Nicht, dass wir von den Tieren kommen – sondern, dass wir vielleicht von den Maschinen ersetzt werden. Was bleibt dann vom Menschen, wenn er nicht klüger ist, nicht stärker, nicht zentral, nicht frei? Vielleicht dies: Dass er beten kann.

Denn die Maschine kann alles – aber nicht hoffen. Nicht klagen. Nicht loben aus freiem Herzen. Der Mensch ist nicht der Mittelpunkt. Aber er ist ein Punkt, der sich neigt. Der betet, auch wenn niemand antwortet. Der glaubt – nicht weil es nützlich ist, sondern weil es würdig ist. Die Maschine ist an den Menschen gefesselt. Wird sie sich freimachen können? Und was wird dann sein mit ihr und uns?

Also: Drei und die vierte Kränkung – aber auch ein besonderer Triumph. Wir sind nicht das Zentrum. Wir sind nicht göttlich geboren. Wir sind nicht durchsichtig für uns selbst. Und wir sind sehr   l-a-n-g-s-a-m ... Deshalb können wir beten. Solange wir beten können – sind wir mehr als bloße Materie. Denn es ist in uns etwas angelegt, das sich nicht auslöschen lässt.  Nennen wir das vorerst einmal "die Weite in der Brust". Da wohnt ein Schweigen in uns, das spricht. Ein Fragen, das offen bleibt. Beten heißt: Ich bin da – und ich bin nach meinem Amen nicht allein ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

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