Das Ding muss weg!
UNIVERSITÄTSKIRCHE LEPZIG

Am 30. Mai 1968, 11 Uhr, wurde die Universitätskirche St. Pauli gesprengt.
Sie war eine 700-jährige gotische Hallenkirche. Von den Mönchen des Domi-
nikaner-Ordens als Klosterkirche gebaut und geweiht,  war sie bei der Bom-
bardierung Leipzigs 1943 wie durch ein Wunder kaum beschädigt worden,
obwohl das Augusteum, das Hauptgebäude der Universität, in unmittelbarer
Nähe gelegen, getroffen wurde und ausbrannte.

Die Sprengung geschah gegen den mannigfachen Protest aus allen Schichten
der Bevölkerung: der evangelischen und katholischen Kirche, der Denkmal-
pflege und Kunstwissenschaft, der Theologischen Fakultät und vieler Studen-
ten, Kirchgemeinden und der westdeutschen Presse. Es gab Festnahmen und
Verurteilungen von Studenten der Theologie an Universität und Missionshaus.
Das Problem war zu einer Machtfrage geworden, die mit Gewalt zugunsten der
der Mächtigen entschieden wurde. Damit wurde das Ringen um die Kirche abge-
schlossen, nachdem 1958 der 5. Parteitag der SED beschlossen hatte, dem Platz
ein "sozialistisches Aussehen" zu geben. Eine Kirche hatte da nichts zu suchen!
Es heißt, Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender usw., habe nach dem Neubau
der Leipziger Oper von dort in Richtung Kirche gesehen, aus der gerade eine grös-
sere Gruppe von Menschen heraus drängte , und den Satz gesprochen: "Das Ding
muss weg!" Damit war das Todesurteil der schönsten Kirche Leipzigs gesprochen.
Paul Fröhlich, 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED und Mitglied des Politbüros, 
der auch für die Sprengung des Kirchturms der Johanniskirche von 1963 verant-
wortlich war, konnte das Verbrechen beginnen und vollenden. Der Volksentscheid 
zur Verfassung vom 06.04.1968 mit 94 Prozent Ja-Stimmen hatte der SED den
Rücken gestärkt.

Als Studenten waren wir gern und oft in der Uni-Kirche. Zwei Erlebnisse sind mir 
besonders in Erinnerung geblieben: die für mich erste Aufführung des Weihnachts-
Oratoriums von Johann Sebastian Bach eben dort. Ich hatte mich leicht verspätet
und betrat gerade in dem Moment das Seitenschiff der Kirche, als die Pauke begann:
Jam-bam-bam-bam-bam; Jam-ba-ba-ba-ba-ba-ba-bam, bevor die Violinen jubelnd
ihre Passagen spielten, und der Chor einsetzte: "Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset
die Tage! Unvergessen! Das zweite Erlebnis war bei einem Gottesdienst: Dedo Müller,
der 1. Universitätsprediger konnte (wieder einmal) kein Ende finden. Alle warteten
auf das Ende der Predigt, auch Robert Köhler, Universitäts-Organist und Professor
an der Musik-Hochschule. So trat er rein zufällig (?) auf einen der tiefen Pedaltöne  der
Eule-Orgel, 1938 erbaut, vier Manuale und 90 Register, was einen mächtigen Brüller
verursachte. Auch Dedo Müller war erschrocken, verstand und beendete seine Predigt.
Die Orgel war nicht das einzige Kunstwerk, das der Sprengung zum Opfer fiel. Die
Herren Ulbricht, Fröhlich und Co. waren echte Kulturbanausen! Aber woher hätte ihr
Kulturverständnis auch kommen sollen!?

Unnötige Verwünschung: Dem, der dieses tat erreichen, sollen alle Knochen bleichen!
(Sie "bleichen" schon! Fröhlich starb am 19.09.1970 mit 57 Jahren an Krebs.
Ulbricht starb am  01.08.1973 mit 80 Jahren an den Folgen eines Schlanganfalls.)

Autor:

Martin Steiger

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