Wir bekommen ein Kind

Altarretabel Kirche St. Jakobus, Rottenbach,
Saalfelder Werkstatt 1498, Detail Christuskind (Evangelische Kirchengemeinde Königsee-Rottenbach, Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld) | Foto: Ulrich Kneise
  • Altarretabel Kirche St. Jakobus, Rottenbach,
    Saalfelder Werkstatt 1498, Detail Christuskind (Evangelische Kirchengemeinde Königsee-Rottenbach, Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld)
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Weihnachtsbetrachtung von Landesbischöfin Ilse Junkermann

Ein Krippenspiel ohne Kind, das geht gar nicht! Zur Generalprobe stapft die siebenjährige Maria mit ihrer großen Babypuppe unterm Arm nach vorn und legt sie beherzt in die Krippe. Da treten alle theologischen Einwände von wegen Licht als Symbol für das Kind in den Hintergrund. Ob wir wollen oder nicht: Wir bekommen ein Kind. Das ist Weihnachten. Das sollen auch alle sehen!
Aber warum ein Kind? In der Geschichte von Dietrich Mendt »Die Erfindung der Weihnachtsfreude« kommt Gott Vater nebst Thronrat und Erz-
engeln zu dem Schluss: Der Messias soll weder ein machtvoller König noch ein markanter Prophet sein. Ein Kind soll er sein, denn über ein Kind, da freuen sich die Menschen richtig!
Ein ganz normales Kind und zugleich ein besonderes Kind, denn sein Vater ist Gott. Das ist das Geheimnis von Weihnachten, Gott wird ein Mensch!
Diesem Geheimnis sind unzählige Darstellungen vom Christuskind auf der Spur, auch das Christuskind aus der Rottenbacher Jakobuskirche im Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld. Es ist ein besonderes Christuskind mit einem besonderen Ausdruck.
Da ist zuerst: Nackt und bloß schaut es in die Welt. Es braucht keine Kleider, wie sie sonst »Leute machen«. Es ist schon wer. Es muss sich nicht über äußere Pracht hervorheben. Es muss auch nicht etwas bemänteln oder retuschieren.
Darin liegt Segen über der Welt. Die Segensgeste der rechten Hand, wie beiläufig erhoben, unterstreicht das: Vor Gott, als Gotteskind musst Du Dich nicht verstellen. Gott will nichts aus sich machen oder etwas hermachen. Wie könnte er das besser ausdrücken als so: als Kind, nackt und bloß.
So ist das Christuskind wer: Selbstbewusst, aufrecht, fast schelmisch schaut es in die Welt. Offen und direkt geht es in Blickkontakt, mit seiner ganzen Person Aufmerksamkeit. Und bringt so Gottes Botschaft: Du Menschenkind, vor mir brauchst Du nichts aus Dir zu machen. Du bist wer. Denn ich bin Mensch an Deiner Seite Mensch. Wie Du, wie jedes Neugeborene komme ich nackt und arm zur Welt. So schaue ich Dich an, Du Menschenkind: Sag ja zu Deinem Menschsein, leg alle Verkleidungen ab, lass die Anstrengungen um Anerkennung sein. Sei lieber ein bisschen heiter und schelmisch.
Deshalb ein Kind: Gott blickt freundlich auf mich. Darin liegt Segen. Gottes Blick macht mich frei. Da muss ich nichts mehr aus mir machen; oder mich danach richten, wie andere auf mich blicken und mich beurteilen. Da kann ich friedlich, ja, auch heiter, mit mir und anderen umgehen.
Und auf Friedlichkeit setzt Gott für die ganze Welt. Dieses wehrlose und verletzliche Kind hält die Welt in seiner linken Hand. So zeigt uns Gott den Weg zum Frieden. Er macht sich wehrlos, hilflos, bloß jeglicher Kennzeichen von Macht oder Pracht oder militärischer Gewalt. Friede wird auf der Welt durch Freiheit von Gewalt.
Wie geht das? Die Wirkung eines hilflosen Kindes ist erstaunlich. Lacht es, freuen wir uns mit; weint es, wollen wir es fürsorglich beruhigen. Ein Kind aktiviert das Schönste, was Gott in uns hineingelegt hat – Fürsorglichkeit und Mitgefühl, Liebe. Deshalb ein Kind.
Aber ist das nicht naiv, darauf zu setzen? Und gefährlich? Ja! So sehr ein Kind das Beste in uns weckt – Liebe, Zärtlichkeit – so sehr ist es gefährdet.
Eine andere Maria geht mir nicht aus dem Kopf, sieben Jahre alt. Im Kinderhospiz in Tambach-Dietharz bin ich ihr dieses Jahr begegnet. Ihr leiblicher Vater hat sie als Säugling so schlimm geschüttelt, dass sie seitdem mehrfach behindert ist. Ihr ist fast alles an Entfaltung genommen. Bei Pflegeeltern lebt sie nun, immer wieder von schlimmen Anfällen geplagt.
Als Kind, zerbrechlich und ausgeliefert, angewiesen auf Hilfe, so gibt sich Gott dieser Welt hin. Ja, das ist riskant. Die Liebe riskiert es. Die Liebe Gottes riskiert alles, um in uns Liebe zu erwecken, damit wir IHM wieder ähnlicher werden.
Gott riskiert es immer wieder. In jedem Kind und in jedem Verfolgten, in jedem Armen und in jedem Leidenden – Gott schaut uns an und braucht uns mit unseren schönsten Eigenschaften: Fürsorglichkeit und Mitgefühl, Liebe.
So finden wir uns nicht damit ab, dass in unserem Land jedes fünfte Kind unter Armut leidet, und dass weltweit täglich 800 Kinder nur deshalb sterben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Wenn wir Gott dienen wollen, dann in diesen Kindern. Auch deshalb ein Kind.
Und schließlich: Auch deshalb ein Kind, damit die, die keine Zukunft haben, Zukunft erhalten; damit wir, die oft aufgeben wollen und sich abfinden mit dem, wie die Welt eben ist, sich wieder aufrecht hinsetzen und dem Kind folgen.
Ein Kind, das ist auch ein Bild des Anfangs. Ein Anfang, den wir immer wieder suchen und aufnehmen können. Das Kind ermuntert uns: »Jede Minute kann etwas ganz Frisches und Neues beginnen.« So schaut uns das Kind an und träumt in uns vom neuen Anfang, vom Neu-geboren-Werden. Auch darum ein Kind.

Ilse Junkermann, Landesbischöfin der Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Autor:

Adrienne Uebbing

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