Unverdauliches Schwarzbrot des Glaubens

Das Sündenbekenntnis geht manchen Christen nicht leicht über die Lippen

Von Margrit Klatte

Allmächtiger Gott, barmherziger Vater! Ich armer, elender, sündiger Mensch… – Frau Pfarrerin, spätestens hier steige ich aus, verschließt sich mir alles.« – Worte einer regelmäßigen Gottesdienstbesucherin. Sie ist keine Ausnahme in unseren Gemeinden. Sie beschreibt die Wahrnehmung vieler, die sich dem christlichen Glauben annähern. Dass Martin Luther das hier zitierte Beichtgebet, das ihm oft zugesprochen wird, kannte, lässt sich nicht belegen. Der Text fand offensichtlich Widerhall in den Gemeinden, sodass er heute zu den »Kerntexten des Glaubens« gehört. Nun aber ist dieses Gebet für viele zu einem unverdaulichen »Schwarzbrot des Glaubens« geworden.
Christen mit großer Glaubenserfahrung und Glaubenswissen können in den alten Worten den Mehrwert dieses Gebets gegenüber vielen neueren Schuldbekenntnissen erkennen: Hier geht es nicht um Tatsünden, nicht um Einzelereignisse – in diesem Gebet geht es um die Grundverfasstheit des Menschen vor Gott. Gegenüber Gott bleibt der Mensch letztlich in einer Situation der Heillosigkeit und der Verlorenheit – auch unabhängig von seinen Einzelhandlungen.
In einer Welt, die selbstbewusste Präsenz verlangt, vernunftgeleitet moralisiert, Auseinandersetzung mit Versagen meidet, braucht es für manche ein Hineingeführtwerden in die christliche Welt der Annahme von Leid und Versagen. Als Gegebenheit auch eines bewussten Lebensstils. Schon Martin Luther sah sich mit der Frage konfrontiert, wozu ein Mensch, der in gottgeschenkter Freiheit lebt, denn die Beichte braucht. Auch unter der befreienden Kraft des Evangeliums lebt der Mensch in Gottferne. Dennoch kann dieses Leben eingebettet sein in Gottes immer neue Zuwendung liebender Gnade. Und vielleicht machte erst die Zusage von Gottes vergebender Liebe und gnädiger Zuwendung es möglich, »die Sünde« – die Anteile von Heillosigkeit, von Verlorenheit im eigenen Leben zu sehen.
»Ich bin ein sündiger Mensch.« Zu dieser Aussage des Beichtgebetes finden viele Menschen keinen Zugang. Zugleich allerdings bekennen sich manche im Fernsehen öffentlichkeitswirksam zu einer Schuld, zu einem Versagen. So wird eine anonyme Öffentlichkeit zum Richter, der Moderator zum Vermittler. Dies zeigt: Die Last eines verfehlten Lebens wird nach wie vor empfunden und es wird nach Formen der Entlastung gesucht. Wie aber kann die befreiende Kraft der Beichte, die Martin Luther so wichtig war, wieder erkennbar werden?
Die Beichte braucht immer neu Erklärung in Predigt und Glaubenskurs. Ihre befreiende Kraft erschließt sich nicht jedem von allein. Es braucht Beichtgebete, die zeitgenössische Sprach- und Glaubensbilder nutzen, als Brücken. Das Sein des Menschen heute muss mit Gott in Beziehung gesetzt werden. Es braucht das Angebot seelsorgerlich eingebetteter Einzelbeichte. So kann individuell eingeführt werden in eine verantwortete Beichtpraxis, in der das je Eigene vor Gott zur Sprache kommt und der einzelne Christ in gemeinschaftlicher Einbindung bleibt.

Die Autorin ist Oberlandeskirchenrätin im Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamt Sachsens.

Autor:

Adrienne Uebbing

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