»Marseillaise der Reformation«

Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg mit dem Schriftzug des Choral-
titels »Ein feste Burg ist unser Gott« von Martin Luther. Aus dem Glaubenslied wurde in Bismarcks Kaiserreich ein vaterländischer Kampfgesang. 
Das Lied fand in Druckschriften des Ersten Weltkrieges inflationäre Verwendung. | Foto: epd-bild
  • Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg mit dem Schriftzug des Choral-
    titels »Ein feste Burg ist unser Gott« von Martin Luther. Aus dem Glaubenslied wurde in Bismarcks Kaiserreich ein vaterländischer Kampfgesang.
    Das Lied fand in Druckschriften des Ersten Weltkrieges inflationäre Verwendung.
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»Ein feste Burg ist unser Gott«: Religiöses Trostlied und Schlachtengesang

Von Christa Kirschbaum

Menschen singen es seit bald 500 Jahren, aber nicht immer war der Gesang rühmlich: Martin Luthers Lied »Ein feste Burg« haben verschiedene Gruppierungen für sich vereinnahmt, auch die Nationalsozialisten.
Einmal im Jahr, da singen sie alle! Selbst die Männer schmettern mit, wenn am Reformationstag »Ein feste Burg« gesungen wird – obwohl die Melodie gleich in den höchsten Tönen beginnt.
Liegt es am Text, der Gott mit einem trutzigen, Schutz bietenden Bauwerk gleichsetzt, oder an der Melodie, die in kräftigen gleichmäßigen Viertelnoten einherschreitet? Vermutlich ist es diese Kombination, die das Lied zur »Marseillaise der Reformation« (Heinrich Heine) gemacht hat.
Martin Luther ließ sein Lied 1529 drucken. Vorlage war der Psalm 46, ein vertrauensvoller Text, der die Stadt Gottes beschreibt, die trotz des drohenden Weltuntergangs »fein lustig bleiben soll mit ihren Brünnlein«. Keine Trutzburg –
da ist etwas in Bewegung, im Fluss. Vertont ist dieser Text mit einer typischen Renaissance-Melodie mit tänzerischem Schwung, die den Inhalt der ersten Strophe nachzeichnet.
Im zweiten Teil gerät der Rhythmus ins Wackeln, wenn »der alt böse Feind« vorgestellt wird. Dieser marschiert im Gleichschritt, wenn er »es jetzt mit Ernst meint« und »groß’ Macht und viel List« einsetzt. Seine »grausame Rüstung« bringt ihn aber rhythmisch wieder ins Straucheln. Die Macht des bösen Feindes wird durch den Melodieverlauf ironisch gebrochen.
Psalmlieder gehören in Luthers Gottesdienstpraxis zu den ersten Gesängen, die der Gemeinde neben den Katechismusliedern anvertraut werden. Dabei geht Luther sehr frei mit der biblischen Vorlage um, ergänzt sie christologisch und führt neue Bezüge ein.
So hat Luther mit dem »alt bösen Feind« ein Gegenbild zu Gott vorgestellt, das nicht aus dem Psalm stammt. Allerdings bleibt dieses Bild unklar – wer oder was ist damit gemeint? Diese Unbestimmtheit hat es vielen Generationen leicht gemacht, ihre je eigenen Bedeutungen einzutragen. War es zunächst der Teufel, der für Luther eine reale Bedrohung war, wurden es später die Gegner der lutherischen Lehre oder im Kriegsgeschehen die politischen Feinde.
Mittlerweile war die ehemals stark rhythmische Melodie durch den Gruppengesang erstarrt, die Gemeinden hatten sie sich in gleichmäßigen Notenwerten zurechtgesungen. 1738 wird sie erstmalig im geraden Vierteltakt gedruckt. Dann ist es nicht mehr weit bis zur Marschmusik.
Im Psalm 46 wird Gott gepriesen, der den Kriegen ein Ende macht und Kriegsgerät zerstört. Bald übernahmen die Menschen die Kriegsführung und nutzten das »Feste-Burg-Lied« als Schlachtengesang. Wo Luther auf die Kraft des Wortes zur Überwindung des Gegners vertraute: »ein Wörtlein kann ihn fällen«, wurden im Dreißigjährigen Krieg Söldner mit diesem Lied in den Kampf geschickt. Gemeinsames lautes Singen stärkt den Einzelnen und die Gruppe – und die »Feste Burg« spielt dabei nicht nur rühmliche Rollen. Der Choral wird zum erhebenden Feiergesang der Reformationsjubiläen. Im 18. Jahrhundert kommen nationalistische Töne dazu. In der Liedersammlung »Des Knaben Wunderhorn« wird der Choral als »Kriegslied des Glaubens« geführt und von Studentenverbindungen, Turnervereinigungen und anderen Männerbünden kraftvoll zelebriert. 1871 verarbeitet Richard Wagner den Choral in seinem »Kaisermarsch«, im Ersten Weltkrieg wird das Lied zum nationalen Kriegsgesang gegen die »altbösen Feinde« Frankreich und England, im Nazideutschland geht es nicht mehr um Christus: »der rechte Mann« heißt Hitler und »das (deutsche) Reich muss uns doch bleiben«.
Gleichzeitig hat Luthers Lied aber auch bedrohten Christinnen und Christen Trost gespendet, zur Stärkung verfolgter Gemeinden beigetragen und sich weltweit im Protestantismus verbreitet.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert wird das Lied, wie schon im Barock, liturgisch wieder dem Sonntag Invokavit, dem Beginn der Passionszeit, zugeordnet, um der triumphalistischen Verwendungstradition entgegenzuwirken. Im Evangelischen Gesangbuch sind beide Melodien abgedruckt – ich wünsche mir, dass viel öfter die erste, originale Melodie in einem flüssigen Tempo gesungen wird. Das muss in unseren Gemeinden sicher ein bisschen geübt werden – aber dann fängt die »Feste Burg« an zu swingen!

Die Autorin ist Landeskirchenmusikdirektorin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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