»Ich sehe, dass es wahr ist, was ich glaube«

Glaubenskurs zur Theologie Martin Luthers: »Sola fide« – allein durch den Glauben

Von Peter Zimmerling

Luthers Theologie und Spiritualität ist durch eine Konzentration auf den individuellen Glauben bestimmt. Das reformatorische Glaubensverständnis zeichnet sich durch einen im Spätmittelalter höchstens in der Mystik gekannten Gewissheits-, Intensitäts- und Subjektivitätsgrad aus. Inhaltlich versteht Luther den Glauben als ein Sich-Halten an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus.
Der Glaube ist der Weg, die Gnade Gottes persönlich zu erfahren. Luther hat an mehreren Stellen in der Sprache der Brautmystik den seligen Tausch beschrieben, den der Glaube zwischen Christus und dem Christen bewirkt: »Darum, mein lieber Bruder, lerne Christum und zwar den Gekreuzigten. Ihm lerne lobsingen und an dir selbst verzweifeln. Dann sprich zu ihm: Du, o Herr Jesu, bist meine Gerechtigkeit, ich aber bin deine Sünde; du hast, was mein ist, angenommen, und mir gegeben, was dein ist. Was du nicht warst, nahmst du an und gabst mir, was ich nicht war.« Indem ich im Glauben Gottes Urteil über mein Sündersein bejahe, trete ich auf seine Seite, auf die Seite der Wahrheit. Glaube besteht für Luther paradoxerweise nicht im sittlichen Streben, sondern primär im Eingestehen der Größe der eigenen Schuld.
Es ist heute notwendig, diese Aussage Luthers vor einem Missverständnis zu schützen. Sünder zu sein war für Luther kein Ausdruck einer entmündigenden und kleinmachenden, sondern einer heilsam rettenden Erfahrung. Das Stehen zu meinem Sündersein ermöglicht mir die Einkehr in eine Selbstbegrenzung, die mir letztlich zugutekommt, weil Schuldigwerden zum Humanum wesentlich dazugehört. Eine Bagatellisierung der Schuld würde eine Missachtung der Würde meines Menschseins bedeuten.
Auf diesem Hintergrund wird auch eine der umstrittensten seelsorgerlichen Ratschläge Luthers verständlich. Mitten in den von den Zwickauer Propheten ausgelösten Wittenberger Wirren schrieb er 1521 von der Wartburg an Melanchthon: »Pecca fortiter, sed fortius fide …« Im Briefkontext lautet dieses Wort übersetzt: »Sündige kräftig, aber glaube noch kräftiger und freue dich in Christus.« Das pecca fortiter wahrt den entscheidenden, weil heilsnotwendigen Unterschied zwischen Glaube und Moral. Im Glauben an Jesus Christus ist der alte Mensch ertränkt samt seines Gewissens. Das Streben nach Heiligkeit hat in sich keinen Wert. Im Gegenteil bedroht es sogar den Glauben, wenn es als dessen eigentliche Aufgabe missverstanden wird.
Durch die Konzentration auf den individuellen Glauben ging evangelischer Spiritualität im Lauf der Geschichte – gegen Luthers Intention – immer mehr die Dimension der Gemeinschaft verloren. Die Konsequenz der Ausblendung der christlichen Gemeinde aus dem Glauben war eine entscheidungs- und profillose protestantische Spiritualität. So sehr Luther den Glauben des Einzelnen von klerikaler Bevormundung befreien wollte, intendierte er doch nie eine Spiritualität unabhängig von der christlichen Gemeinde. Das zeigt besonders schön seine Auslegung des 3. Glaubensartikels im Kleinen Katechismus.
Neben der Dimension der Gemeinschaft ist es höchste Zeit, auch das Moment der Erfahrung für den Glauben zurückzugewinnen. Auch wenn Luther davon ausgeht, dass der Mensch durch den Glauben keine neue sittliche Qualität bekommt, ist für ihn selbstverständlich, dass dieser dem Menschen zur gelebten Erfahrung wird. »Da muss nun angehen die Erfahrung, dass ein Christ könne sagen: Bisher hab ich gehört und geglaubt, dass Christus mein Heiland sei, so meine Sünde und Tod überwunden habe. Nun erfahre ich es auch, dass es so ist. Denn ich bin jetzt und oft in Todes Angst und des Teufels Stricken gewesen, aber er hat mir herausgeholfen und offenbaret sich mir so, dass ich nun sehe und weiß, dass er mich lieb habe, und dass es wahr ist, was ich glaube.«

Der Autor ist Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge und Spiritualität an der Universität Leipzig.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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