Die Bibel – ein Erzählbuch über das Leben

Von Helmut Frank 
Wie die Bibel zu verstehen ist, sorgt für Diskussionen, seitdem es sie gibt. Martin Luther wollte im Einklang mit der Renaissance historisch und auch theologisch zurück »zu den Quellen«. Die Autorität des Papstes und die Konzilien, war sich Luther sicher, verdunkelten die Christus-Wahrheit mehr, als dass sie das Wort Gottes erhellen würden. Bei der Rückkehr zu den Quellen fand er schließlich sein Kriterium für die Schriftauslegung: Jesus Christus.
Die Bibel verdeutlicht den lebendigen Christus für den Glauben. Luther erkannte, dass in der Bibel sehr verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Zeiten mit verschiedenen Meinungen zu Wort kommen. Die Bibel war für ihn kein vom Himmel gefallenes Buch. Gott hat sie auch nicht wortwörtlich diktiert oder eingegeben, wie bis heute Vertreter der Verbalinspiration behaupten. Luther sprach deshalb von der Knechtsgestalt des Wortes Gottes in der Bibel.
Die reformatorische Losung »Allein Christus! – solus Christus!« gab Luther die Freiheit zu einer kritischen Sicht der Bibel. Nicht alles, was in der Bibel steht, ist deshalb schon Wort Gottes, sondern das, »was Christum treibet«, was die Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnade predigt. »Das, was Christum treibet«, war für Martin Luther der »Kanon im Kanon« und das protestantische Prinzip.
»Die Heilige Schrift legt sich selbst aus«, sagte Luther, sie ist ihr eigener Interpret. Die Bibel besitzt nach reformatorischer Überzeugung eine ihr eigene Klarheit. Luther zufolge verhält es sich so, dass »die Schrift durch sich selbst ganz gewiss, ganz leicht verständlich, ganz offenbar und ihr eigner Interpret sei, indem sie alles prüft, beurteilt und erleuchtet«. Diese Klarheit bedeutet, dass die Schrift nach ihrem Wortsinn ausgelegt werden muss. Luther unterscheidet dabei zweierlei Klarheiten: eine innere und eine äußere. Die äußere Klarheit der Schrift besteht in ihrer Verständlichkeit, zu der der Reformator nicht zuletzt durch seine Bibelübersetzung beitragen wollte. Die innere Klarheit aber wird durch den Heiligen Geist geschenkt.
Das lutherische Schriftverständnis schließt einen Bibel-Fundamentalismus aus. Luther hat bei seiner nächtelangen Übersetzungsarbeit am Urtext gemerkt, dass die Bibel weder irrtumslos noch fehlerfrei ist. Das will sie auch nicht sein. Wäre die Bibel ein Codex göttlicher Wahrheiten, dann wäre der Glaube ein kaltes System. Der Glaube ist jedoch eine Beziehungswirklichkeit, in der sich Gott erschließt. Ein lebendiger Gott, der es sich immer wieder gereuen lässt, der sich selbst beherrschen muss, der müde wird über unseren Sünden, der seine Pläne ändert und seine Fristen. Die Bibel zeigt kein philosophisches Prinzip, sondern einen lebendigen Gott.
Von Beginn an bietet die Bibel keine in den Himmel gehobenen Erfolgsstories, sondern Geschichten von Menschen, die an ihrem Tiefpunkt noch eine Zukunft haben. Diese Linie zieht sich durch die Biografien der Bibel bis zu Jesus, den Gott aus dem absoluten Tiefpunkt, dem gänzlichen Scheitern im Tod, zum Leben erweckt. Die Bibel ist kein Lehrbuch, sondern ein Erzählbuch über das Leben. Nicht geschrieben für Theologen und Priester, sondern für jeden Menschen. Weil in der Bibel menschliche Erfahrung und göttliche Offenbarung eng verwoben sind, ist sie Lebensbuch und Heilige Schrift in einem.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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