Eine Gedenktafel gibt es seit 1956
DER THOMASKANTOR AUS GORSLEBEN

Als meine Frau 2006 von ihrem Studiengruppentreffen in Leipzig das Programm der Kantate des Thomaner-chores vom 11. März mitbrachte, stand da an zweiter Stelle die doppelchörige Motette "Unser Leben währet 
siebzig Jahre" von Sethus Calvisius aus Gorsleben (1556-1615); genaues Geburtsdatum: 21.02.1556. Da hatte
der Thomaskantor Calvisius also seinen 450. Geburtstag, und ich gehe gewiss recht in der Annahme, dass der
damalige Thomaskantor, Georg Christoph Biller, ein Werk seines Amtsvorgängers deshalb ins Programm aufgenommen hatte.
Als am 13. Oktober 1989 der Thomanerchor unter Professor Rotzsch in der Johannis-Kirche von Oldisleben
aus Anlass des 900-jährigen Kloster- und Ortsjubiläums ein Konzert gab, begann er mit oben genannter Motette. Der Ortspfarrer sagte damals mit Blick auf Calvisius: "...weil das Benediktiner-Kloster Oldisleben in Gorsleben eine Außenstelle hatte, ist er so gut wie ein Oldislebener!" Wobei der Pfarrer freilich etwas gross-zügig mit den Jahren umgegangen war, denn im Geburtsjahr von Calvisius war das Kloster Oldisleben bereits säkularisiert, d.h. aufgehoben, und in Gorsleben waren nur noch die baulichen Reste des Wirkens der Mönche zu sehen: der Klosterhof und der gotische Chor der dortigen Dorfkirche, zugleich Taufkirche des Jubilars. (Als
alter Pfarrer hätte ich gern dessen Taufdatum und die Namen der Eltern und Paten eingefügt, aber die Kirchen-
bücher von Gorsleben beginnen erst wieder mit dem Jahr 1662. Ob sie den Unbilden des 30-jährigen Krieges und/oder einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen sind, konnte meinerseits nicht geklärt werden.)
Seth (Jakob) Kalwitz (Kallwitz) stammte aus einfachen Verhältnissen und war Sohn eines Tagelöhners und einer Hebamme. Dem Brauch der Zeit folgend latinisierte er später seinen Namen, und so wurde aus Seth Kalwitz
Sethus Calvisius. Schon früh Halbweise, sollte er eigentlich nach der Konfirmation das Weber-Handwerk erlernen, aber der Pfarrer von Gorsleben erkannte Begabung und wissenschaftliches Interesse des Jungen, und so kam dieser zuerst auf die Lateinschule von Bad Frankenhausen und nach drei Jahre auf die Klosterschule von Magdeburg. Dort lernte er neben den Alten Sprachen (Latein, Griechisch und Hebräisch) auch Mathematik, Geschichte und Rhetorik, und er verdiente seinen Lebensunterhalt durch Singen im Schulchor (Siehe Martin 
Luther in Eisenach!), den er dann auch leitete. Mit 23 Jahren begann er ein Studium an der Universität Helm-stedt. Auch die dortigen Lehrer erkannten seine besondere Begabung und beantragten für ihn ein Stipendium beim Kurfürsten in Dresden (Gorsleben gehörte wie andere Orte der Umgebung damals zu Sachsen!), dem
stattgegeben wurde unter der Bedingung, dass Kalwitz sein Studium in Leipzig fortsetzte. So kam der nach Leipzig und studierte dort Theologie, Mathematik und Musik und wurde ein Jahr später zum Leiter des Uni-versitätschores an der Paulinerkirche berufen, wo er auch durch empfindsames Orgelspiel auffiel. Nach Ab-schluss seines Studiums ging er auf Empfehlung seiner Professoren an die Fürstenschule nach Schulpforta, wo er seine historischen, mathematischen und astronomischen Studien fortsetzte, ein lateinisches Wörterbuch
herausgab und auch in der Musik-Pädagogik eigene Vorstellungen entwickelte. 1594, im Alter von 38 Jahren,
wurde er zum Kantor des 1212 gegründeten Thomanerchores berufen, welche Stellung er bis zu seinem Tode
inne hatte. Zugleich war Calvisius Musikdirektor der Hauptkirchen von Leipzig, wie später sein großer Nachfolger Johann Sebastian Bach.
Sethus Calvisius ist auch als Komponist, Musiktheoretiker, Bearbeiter und Herausgeber von Kompositionen an die  Öffentlichkeit getreten. Er schrieb die Melodien zu 127 Kirchenliedern, von denen das Abendlied "Mein schönste Zier und Kleinod bist auf Erden du, Herr Jesu Christ" es bis in das heute gültige Evangelische Gesang-buch geschafft hat und als Motto über seinem Leben stehen könnte. Auch ein umfangreiches Geschichtswerk,
das "opus chronologium", stammt aus seiner Feder. Es enthält einen Briefwechsel mit dem Astronomen Johannes Kepler und wurde mehrfach aufgelegt. Berufungen an die Universitäten von Wittenberg und Frankfurt/O als Professor für Mathematik schlug er aus und blieb Leipzig und seiner Musik treu. Dort starb Cal-visius am 24. November 1615. Doch auch seinem Geburtsort ist er stets verbunden geblieben. Zum Zeichen dafür schenkte er seiner Taufkirche 1613 den 8. Bd. der Gesammelten Werke Dr. Martin Luthers. Sein Bild
zeigt einen gutgekleideten Mann mit selbstbewusstem Blick, einer Halskrause und großem Spitzbart.
Die Stadt Leipzig schenkte der Gemeinde Gorsleben nach dem Tode des Thomaskantors ein Bild mit der In-schrift: "Sethus Calvisius, ein berühmter Mann, von dem Gorsleben mit Recht sich rühmen kann, dass er an diesem Ort der Welt geboren ist. Chronologie, Musik und Dichtkunst liebte er, war vor gelehrter Welt in Ansehn und Ehr, drum hat auch Leipzig ihn nicht ohne Schmerzen verloren. Geboren 1556, gestorben 1615."

Gorsleben hatte mit diesem Bild seines berühmten Sohnes kein Glück, denn es ist verloren gegangen. Auch mit
den Jubiläen war es eine Sache für sich. Immerhin fand 1956, zum 400. Geburtstag, eine Feierstunde im Saal der Gaststätte statt. Weitere Bemühungen scheiterten am Geld und an den Räumlichkeiten. Seit 1956 gibt es in der Schafgasse 129 eine Gedenktafel. Am 26.09.2015, im 400. Todesjahr, fand in der Kirche von Gorsleben ein wunderschönes und gut besuchtes Konzert mit Werken von Sethus Calvisius statt: Vokalkonzert Leipzig,
Capella Lipsiensis, unter Leitung von Gregor Meyer.

Autor:

Martin Steiger

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

4 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.