Das Herz der Kirche ist Mission

Keine Wahl: Mission ist nicht eine von vielen möglichen Aufgaben der Kirche, sondern die Identität der Kirche. | Foto: Mirjam Petermann
  • Keine Wahl: Mission ist nicht eine von vielen möglichen Aufgaben der Kirche, sondern die Identität der Kirche.
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Die Frage, ob die Kirche missionieren soll, gleicht der Frage, ob es die Kirche geben soll. Wer nicht will, dass die Kirche missioniert, will weder, dass sie Kirche Jesu ist, noch, dass sie eine Zukunft hat.

Von Alexander Garth

Oder um es mit den Worten von Eberhard Jüngel auf der EKD-Synode 1999 in Leipzig zu sagen: »Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen.« Mission ist nicht eine von vielen Aufgaben. Mission ist die Identität der Kirche. Sie hat nicht Mission. Sie ist Mission. Der Vater hat Jesus in die Welt gesandt und dieser wiederum sendet die Kirche, seine Apostel, Christen und Christinnen, dass sie Gottes Sehnsucht nach uns Menschen in Wort und Tat verkündigen.
Das ist erst einmal biblisch und theologisch korrekt, provoziert aber viele Fragen und Einwände:
Erstens sind die Begriffe Mission und Evangelisation für viele kirchliche Leute negativ besetzte Reizworte, die nach Bekehrungsdruck, Einseitigkeit, rigider Moral und Fundamentalismus klingen. Auch ich habe missionierende Christen gelegentlich als eifernde Radikalinskis erlebt, die unsensibel und rechthaberisch zur Bekehrung mahnen. Das Evangelium aber ist ein respektvolles Angebot, eine Einladung, der Liebe Christi zu begegnen. Das Anliegen von Mission, Menschen in die Nachfolge Jesu zu rufen, muss aus seiner evangelikalen Verengung befreit werden und wieder zu Ehren kommen. Evangelisation und Mission sind kein Programm besonders frommer und aktiver Christen, sondern Ausdruck der suchenden Liebe Gottes, der Jesus für die Menschen gab und nun die Kirche sendet, um die Menschen zur Freundschaft mit Gott einzuladen.
Zweitens hatte es die Kirche in der Vergangenheit nicht wirklich nötig, Menschen zu gewinnen. Schließlich gehörte jeder irgendwie dazu. Das religiöse Betreuungskonzept aus der konstantinischen Ära der Kirche lebte davon, dass alle, mit Ausnahme der Juden, Kirchenmitglieder waren, die es pfarrgemeindlich zu versorgen galt. Diese Gegebenheit führte zu einer nachlässigen und faulen Grundhaltung in Sachen Mission. Aber die Situation hat sich gründlich gewandelt. Die Entfremdung weiter Teile der Bevölkerung von Glaube und Kirche nicht nur in Ostdeutschland und steigende Kirchenaustrittszahlen zwingen die Kirchen zum Nachdenken darüber, wie sie einladender für Kirchendistanzierte wer-
den können. Heute ist offensichtlich: eine Kirchgemeinde, die nicht missioniert, stirbt, und eine Kirche, die nicht missionarisch lebt, versinkt in der Bedeutungslosigkeit.
Drittens lähmt uns weithin die Erfahrung, dass unsere missionarischen Angebote bei vielen Menschen auf wenig Interesse stoßen. Wir erleben eine frustrierende Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Fragen. Wir kommen uns vor wie Schuhverkäufer in einem Land, in dem alle barfuß gehen wollen. Gleichzeitig sind die Fragen nach Identität, Sinn, Wahrheit, Zukunft, Gotteserfahrung und Gemeinschaft präsenter denn je. Und genau darin liegt die Kernkompetenz des christlichen Glaubens. Religion und Spiritualität fasziniert in unserer säkularen Kultur viele besonders junge Menschen. Die Sehnsucht nach spiritueller Selbstvergewisserung bekommt in einer immer komplizierter werdenden und bedrohlichen Wirklichkeit wieder neuen Auftrieb. Warum kommt es nicht zu einer Begegnung von Angeboten der Kirche und der Sehnsucht der Menschen? Liegt vielleicht das Problem nicht nur in der Gleichgültigkeit unseres Gegenübers, sondern auch in der mangelnden Fähigkeit unsererseits, die Liebe Gottes einladend und lebensrelevant in die Kultur der Menschen, in ihre konkrete Lebens- und Verstehenswelt, zu kommunizieren? Offensichtlich haben wir ein handfestes Kommunikationsproblem. Die gesellschaftlichen Umbrüche, in denen sich die Menschen befinden, sind so enorm, dass die christliche Verkündigung neue Wege finden muss.
Viertens verstößt Mission gegen das Basisdogma des Relativismus unserer Zeit, nach dem es keine absolute Wahrheit gibt, sondern nur viele Teilwahrheiten, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Wer missioniert, will dem-
nach einem anderen seine Wahrheit aufdrücken. Mission steht für Intoleranz, die zur Gewalt gegenüber Andersgläubigen führen kann. Missionieren ist etwas, das ein anständiger Mensch nicht tut. Und die kritische Frage »Sie wollen mich wohl missionieren?« wird sofort heftig abgewehrt. Die Kirche und die Christen haben sich von diesem Glaubensbekenntnis des postmodernen Relativismus einschüchtern lassen und reden lieber über das, was in den sozial-politischen Mainstream passt, weil sie sich so der Zustimmung ihrer Mitmenschen sicher sein können. Der Missionsgedanke gehört zum Glauben wie der Donner zum Blitz. In der Zeit postmoderner Beliebigkeit geht es darum, das Sympathische, Frohmachende, Sinnstiftende, Einladende und das Leben Stabilisierende des Glaubens zu kommunizieren. »Wir sind nur Bettler, die anderen Bettlern sagen, wo es Brot gibt« umschreibt die holländische Evangelistin Corry ten Boom das Wesen von Mission. Wir sind das Evangelium den Menschen schuldig – um Gottes willen und der Menschen willen.
Fünftens verstehen viele Pfarrer und Mitarbeiter der Kirche Mission additional als etwas, das sie noch zusätzlich zu den vielen Aufgaben tun sollen. »Ich schaff’ eh schon meine Arbeit kaum, und jetzt soll ich auch noch missionieren.« Dahinter steht das alte Verständnis von Mission, das eine Aufgabe und Aktivität der Kirche umschreibt. Mission aber ist kein Akt der Kirche, sondern ihr Sein in dieser Welt. Was wir als Gemeinde tun, predigen, unterrichten, verwalten, mit Leuten reden, musizieren, feiern, das alles ist
Mission, wenn unser Tun durchdrungen ist von der Beauftragung und Begabung Gottes, seiner suchenden Liebe in dieser Welt Ausdruck zu verleihen.

Alexander Garth ist evangelischer Theologe, Pfarrer an der Wittenberger Stadtkirche und Sachbuchautor.

Autor:

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