einst ... in Thüringen
Leberecht Gottlieb (119. Teil)

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
119. Kapitel, in dem Leberecht Gottlieb unfreiwillig gewahr wird, wie er die gesamte Zeit seines Dienstes in Prätzschwitz, Mumplitz und Plötnitz von verschiedenen Geheimdiensten tatsächlich überwacht worden war, ohne es selber bemerkt zu haben ...
Leberecht schaute verdutzt. Was hatte der Agent Gendrich Novascholov da eben gesagt? Weiter auf gute Zusammenarbeit? Der Emeritus wies solche Unterstellung höflich von sich und meinte mahnend pastoralen Tons und in Richtung des Geheimdienstlers: "Ich habe nie mit irgendjemandem von Ihrer Sorte zusammengearbeitet. Das ist gewisslich war!" Gendrich Novascholov hüstelte ein heimtückisches und zugleich doch ganz reizvolles Lachen und entgegnete: "Herr Gottlieb, wir wollen Sie ab heute nicht weiter im Unklaren lassen. Natürlich wissen Sie bisher noch nichts von unserer Dauerbeobachtung, mit der wir Sie seit Ihrer Studentenzeit auf's Korn genommen haben. Das alles hängt mit den Zeitreisephänomenen zusammen, wie Sie sich selber schnell zusammenreimen könnten - mit etwas Phantasie, die Sie ja unweigerlich besitzen. Leberecht fühlte sich zwar geschmeichelt - aber hatte Mühe, sich den verworren Zusammenhang von Singularitäten einigermaßen klar vor Augen zu führen, die beim Reisen in der Zeit unweigerlich entstehen. Gendrich Novascholov half ihm deshelb auf die Sprünge: "Lieber Herr Gottlieb, wenn Sie wissen, dass Sie irgendwann in der Zukunft ein Zeitreisender gewesen sein werden, dann können Sie sich auch vorstellen, dass Sie allen denen, die das ebenfalls wissen werden, eine enorm interessante Person darstellen. So ist dem russischen Geheimdienst in der Zukunft" und er betonte das Wort ZUKUNFT "also in der Zukunft unweigerlich bekannt geworden, wie Sie maßgeblich an der Entwicklung des Zeitreisens allgemein beteiligt gewesen sein werden. Deshalb haben die Genossen in der Zukunft aus der Zukunft uns in der jetzigen Gegenwart - die dort bereits lange zurückliegende Vergangenheit ist - auf Ihre werte Person aufmerksam gemacht. Wir haben Sie also seit dem 24.6.1977 auf dem Schirm. Das war zu dem Zeitpunkt, an dem Sie sich damals für das Theologiestudium in Halle an der lieblichen Saale bewarben. Es war genau jener Klick, mit dem Sie Ihre Schicksalsstrecke von dem anderen Gleis, das ebenfalls möglich gewesen wäre, auf das eine umstellten, auf dem Sie heute noch unterwegs sind. Sie können sich erinnern, dass Sie einen Studienplatz in Merseburg für Synthesechemie gebucht hatten, aber während Ihres Dienstes bei der NVA an einem schönen Sommerabend bei diesem rauchenden Aschehaufen Wache stehen mussten? Um Mitternacht war's, die Planeten waren alle im ersten Quadranten, nur der zunehmende Halbmond war am Westhimmel - im Untergang begriffen - zu sehen, da fasste etwas in Ihnen den Entschluss, dem Weg Ihrer Vorfahren zu folgen und das persönliche Interesse doch nur wieder auf die alte Gottesgelehrsamkeit zu verlegen, weg von den Giften und Tinkturen, Pülverchen und Kristallen, die Sie mit einem guten Freund - der uns aber hier nicht weiter interessiert - zusammen mischten und nicht selten zur Explosion brachten." Dabei drohte Gendrich neckisch dreinschauend zum Scherze mit dem Zeigefinger der linken Hand in die Richtung Leberechts. Er war offenbar Linkshänder. "Wir beobachteten Sie seit damals so genau, wie auch Ihr Schutzengel Ihnen folgt. Und manches, was Ihnen zugestoßen wäre, das haben wir oder diese oder wir beide zu verhindern gewusst. Damit Sie auch wirklich die Zeitreise mit Hilfe des Raumgleiters, dessen Prototyp Ihr ehemaliger Konfirmand Svenny erfunden hatte, antreten würden. Damit Sie dann schließlich auch irgendwann einmal in der Hölle - ich weiß, für Sie ist es die Helle - einfahren würden, um dort Heisenberg zu treffen und mit ihm zusammen ..."
An dieser Stelle wurde es Leberecht zu bunt. Er rief: "Hören Sie doch auf! Das ist doch kompletter Unsinn, was Sie da erzählen. Mir wird ja ganz närrisch im Kopfe. Legen Sie mir einen Beweis vor, damit ich glauben kann!"
"Ach!" meinte Gendrich sofort - und wieder grinste er. "Hilf meinem Unglauben? - Ja, aber doch gerne. Hier lesen Sie das:" Und der Agent schlug den Hefter auf, den er mitgebracht hatte. Und an einer Stelle, da war ein Datum zu lesen. Es handelte sich um den ersten Mai des Jahres 2008. Leberecht zog den Hefter dichter zu sich heran und begann zu lesen:
O du, - mein schönes Thyringia!
Land auch vieler meiner Gefährten.
Bist bleibendes Rätsel.
Dich banden Fürsten einst,
Greise gar schon, festlich zusammen.
Wie Perlen man aufreiht
zum Preise mildschauender Frauen.Erglänzte dein Ruhm?
Nimmer wird er verglänzen!
Längst abgetane Schönheiten,
neu schimmern sie auf.
Sie funkeln noch heute ...
Da sind deine Wälder und Auen zumal.
Bergige Höhen ziehen dahin.
Vielsaftige Weiden mit Hornvieh
und schreitenden Störchen.
Leberecht blickte auf - und Gendrich lachte: "Erinnern Sie sich, das haben Sie selber geschrieben. Und wir haben es abgehört. Aus der Akashachronik, mit der übrigens die Geheimdienste verbunden sind. Und damit Sie es auch wissen. Die Geheimdienste dieser Welt - alle! - arbeiten mit den Engeln zusammen. Und zwar nicht nur mit den Guten. Auch mit den Nicht-mehr-so-Guten.
Leberecht war entsetzt. ja - das war sein Text gewesen. Er war damals bei seinem Freund Friedrich Diethold Plan (F.D.P - der treue Leser kennt ihn aus vorhergehenden Kapiteln) zu Besuch gewesen. Dieser hätte am kommenden Tag eine Reise nach Thüringen antreten müssen - eine Dienstreise, Klausurkonvent genannt. Denn die ehemalige Kirchenprovinz Sachsen sollte mit der Thüringischen Landeskirche fusioniert, kopuliert oder sonst was werden. Da wollte man die Brüder eimal freundlich besuchen. Aber FDP hatte keine Lust für solche Reisespäße. Da war kurzerhand Leberecht Gottlieb eingesprungen. Selber aus der sächsischen Kirche und von Dresden aus regiert, mochte er gern einmal in dieses andre Milieu hinein riechen. Und so fuhr er mit. Das ging. Ja man war geradezu hoch erfreut, diesen kontaktfröhlichen fremden Amtsbruder im Bus sitzen zu haben. Leberecht erzählte pausenlos - und die zumeist vergrämten Mitreisenden aus der schwächelnden Magdeburger Kirche fühlten sich gut unterhalten durch den patenten Sachsen. Dann traf man in Eisenach nach langer Busfahrt endlich ein und war auch in diesem drolligen Kirchenamt der Thüringer gewesen, hatte deren Bischof angetroffen und immer und überhaupt lauter freundliche beleibte Leute mit viel Bratwurst und Kuchen. Als die Reise zu Ende gekommen, setzte sich Leberecht hin und schrieb dieses Poem, das ihm nun durch den Geheimdienstler präsentiert wurde. Ja - man wusste offenbar alles von ihm. Alles von Leberecht, der nun fortfuhr mit der Lektüre:
Nicht metzelt allhier
der Windmühlen wirbelnder Dreikant
ruhevernichtend im bläulichen Äther.
Still und ungestört ziehen die Wolken
dort auf den heimischen Bahnen.
Und sanfte Menschen bebauen die Fluren,
freundlich drein blickende Kindlein entsteigen,
- uns Wanderer munter begrüßend -
den farbigen Bussen,
die sie von hierher nach dorthin sicher befördern.Brausend ertönen die Orgeln der Kirchen -
brausend orgelt der Sturm durch Fichten und Buchen,
brausend entstürzt sich auch tief in die Schlucht,
wo Drachen einst schritten,
der Wildbach hinab durch Bärlauch und Primeln.Dort machten wir Rast, inmitten der Wunder,
genossen des Kuchens goldige Krume,
die war uns bereitet von zärtlichen Händen
der Pfarrersfrau eines der liebwerten Brüder
drunten im heiligen Hain.O thyringer Land - ich kehrte zurück.
Zu der nährenden Muhme, die meiner einst pflegte,
als ich ein Kindlein noch einfältig und fromm.
Nun muß ich wieder ins finstere Pruzzen,
zu grimmigen Leuten, die tief im Herzen
den Gott nicht mehr kennen.
Wüst und zerstört meist lieget das Land da,
und Leere entgähnen die Tempel,
entflohen die Engel, entwichen die Götter,
verworfen das HÖCHSTE von rechnenden Wichten.Gefallen sind ja meine Wälder schon lange
und mürrisch kriecht hin der gesteinigte Strom.
Du aber, Thyringen,
so balde wallte ich wieder
zurück an die Grenze der Himmel, zu dir.Ich kenn einen goldverzierateten Raum ...
Darinnen wandelt unter den blinkenden Scheiben,
der gotischen denkmalgeschützten Scheiben
aus farbigem Glase im ehrbaren Schlösschen
der würdige Bischof mit ehrbarer Mine.
Fein geschnitten die sinnenden Züge,
unwiderlegbar der Strom seiner Rede.
Richtig setzt er untrügliche Worte.
Beifall spenden die lauschenden Hörer.
Gefallen findet der Alte bei Allen.Draußen im Flur?
Da wachen die schwärzlichen Bilder.
Ernst schauen sie drein, die verblichenen Hüter,
Presbyter und Wächter der Kirche des Landes.
Märchenhaft deucht uns das ragende Schlösschen,
Mitzen-Heim heißt es,
des trutzbereiten Helden Verschanzung.Einst finstre Gesellen beherrschten,
lang ist es her, doch nur kurz war die Zeit,
- wenn auch nimmer vergessen –
beherrschten des Schiffes Geschicke die Zwerge.
Vom Pöbel erwählt!Bald waren des Ruhmes Kränze
entweiht auf dumpfen und niedrigen Stirnen.
Murmelnde Spitzel und trügende Trolle
verrieten die Kirche, die Mutter des Landes.„Daß nie wieder sollte das Ruder
entrissen werden den richtigen Händen!“
so entschieden die trefflichen Hüter.
„Zwischen Charybden und schlingenden Scyllen
gilt es den Schiffsbug zu steuern.
Drum, Moritz! Bleibe du lange am Rade!“
Er blieb es ...Dann schauten wir Meiningen.
Nachdenklich und weise reicht hier
der Superinténdent
Bot uns dar, vom gebackenem Kuchen
und schmackhaftes Naschwerk legt er uns vor.Winkte zum Abschied wahrlich-bedächtig
und lächelte wissend, doch schmerzlich.
Auch zeigte er uns des Theaters treffliche Rundung.
Und die Schönheit der Stadt
eines lang schon vertriebenen Fürsten.Wandern taten wir gerne.
Zur Wartburg natürlich führte der Pfad.
Hier, wo der Teufel und Luther
um die Schrift sich gestritten,
der eine mit Dinten, der andre mit Listen.
So wurde daraus die Heilige Schrift.
Beim Biere in urwüchsiger Schenke
war schnell manch treffliches Bildwort zur Hand.Die Mägde des Hauses am ragenden Hainstein
besorgten das Bett und die Speisen vorzüglich.
Wir schlummerten sanft und träumten von dir,
wackeres Land und erlesene Perle
im Norden der fränkischer Lande gelegen.Dann schließlich waren wir Gäste der Brüder,
die Christen von Dermbach empfingen uns freundlich.
Sie boten uns dar im blühenden Garten
des Genius Loci viel Brötchen und Obst auch,
den duftenden Kaffee und freundliche Gesten.Von hier aus führte man uns an die Grenzen
der Welt, da waltet singend ein wackerer Priester
im Hause des HERRN.
Im schwellenden Bauche davon einst
trug man uns Luthern,
Erzfeind papistischen Heuchlern
sollte er werden, unbeugsam und Vater der Reformation,
so durften wir´s lernen.
Davongetragen nach fröhlicher Zeugung,
mitsamt seinen Eltern, welche Arbeit nicht fanden
im ärmlichen Möhra.Noch viel wär zu sagen
von Thyringens Landen.
Doch mussten wir fort
aus dem Himmel zur Erde,
nach Preußen, das vormals noch Sachsen gewesen,
zogen wir trauernd und wehklagend wieder.Nimmer werden wir deiner vergessen.
Thyringia – goldenes Land,
wo Milch und Ambrosia immer man dargereicht.
Noch heute den Leuten es dartut nach Altväter Weise.
Aus den Armen der allesspendenden Kirche -
dem einfachen Volk in vertrauende Hände.
Leberecht legte den Ordner aus der Hand und blickte Gendrich Novascholov fassungslos an. Dieser nickte und fragte erneut: "Nun? Herr Gottlieb, wollen Sie mit uns weiterhin zusammenarbeiten, wie Sie es taten? Nur mit dem Unterschied - dass Sie von der Kollaboration jetzt ein wenig mehr wissen."
Leberecht wurde schwarz vor Augen. Er sank in die Arme des russischen Agenten, wie in manchen Filmen erschrockene Frauenzimmer in die von Kavalieren ….
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