Reformationsgedenken 2023
Hupfet!

Hupfet!  Lukas 6,22

... die Bergpredigt beginnt mit einem ganz besonderen Wort, das später nicht selten den Namen für Bischöfe hergegeben hat. Wort und Name lauten „Makarios” und bedeuten soviel wie „Selig” oder „Gepriesen.” Der heutige Tag nennt sich Reformationsgedenken - Reformationstag oder Reformationsfest.
Fern von hier stehen zwei schwarze Männer unbeweglich auf einem historisch gewordenen Marktplatz, haben aber viel in Bewegung gebracht. In ihrem Rücken haben sie das Rathaus, wo täglich politische Entscheidungen getroffen werden. Aber die beiden schauen nach Süden, in jene Richtung also, wo das Heilige Land sich erstreckt und die Stadt Rom mit dem Kirchenstaat liegt, von dem man sich nicht ohne Zutun dieser beiden schwarzen Herren im 16. und 17. Jahrhundert politisch weitgehend trennen musste, obwohl man das vordergründig eigentlich gar nicht wollte.
Die Herren sind aus Bronze, ihre Schwärze kommt von der Zeit. Sie heißen nicht Makarios, sondern Martin und Philipp - Luther und Melanchthon. Beide haben Buch bzw. Schriftrolle in ihren Händen. Denn Literaturen sind meistens Herkunftsort des Wissen gewesen - und bis heute auch geblieben. Luther und noch mehr Melanchthon kannten die alten Sprachen (unsinnigerweise oft als tote Sprachen bezeichnet), in denen die neun Seligpreisungen aus dem Süden aufgeschrieben worden waren, die heute Predigttext sind. Beide Männer haben eine Menge Trubel erlebt - selber angerichtet - und vielleicht waren sie deshalb selten oder nur manchmal selig und makarios. Ihr Lebenswerk bestand darin, sich von fremden Mächten nichts mehr sagen lassen zu wollen - und diese Autonomie ausführlich mit Büchern und in Predigten zu begründen. Ähnliches nennt man immer noch Reformation. Reformation ist der Prozess zu versuchen, entartete Formen wieder in ihren Originalzustand zu bringen. Philipp und Martin.

Es gab einige Bischöfe in der griechisch orthodoxen Kirche, die Makarios hießen. Sie wollten sich selig nennen - oder sind so genannt worden. Bischöfe. Könige jedoch haben sich nie mit diesem Namen versehen wollen. Vielleicht sind Könige eben Könige und nicht glücklich, wie das Wort Makarios heute ebenfalls übersetzt wird. Aber was ist schon Glück? Gab es außerhalb der Märchen historische Könige, die glücklich gewesen sind? Griechische Bischöfe trugen unübersehbar oft den Namen Makarios, es ist ein griechischer Name - selig. Selig sind, die Frieden stiften. Friedrich, Wilhelm, Heinrich und Otto - das sind Namen deutschsprachiger Könige und Kaiser. Wie wird man selig, gepriesen oder glücklich - und kann dabei Politiker bleiben?

Lassen Sie uns den Ausflug in die Aura des Begriffs Makarios ruhig noch ein wenig ausdehnen. Wir steigen dabei auf einen Berg bzw. betreten ein weites Feld. Denn die neun sogenannten Seligpreisungen, von denen wir eben gehört haben, werden in der Matthäusversion aus dem Munde Jesu von einem Hügel herab, in der Variante, die Lukas überlieferte, auf einem Feld zum Erklingen gebracht. „Selig sind, selig sind, selig sind” - das wiederholt sich neunmal. Und dann folgen ganz einfache Beschreibungen des Erduldens oder Handelns. „Makarioi, Makarioi, Makarioi.”
Der Bischof Makarios I. soll im 4. Jahrhundert das Heilige Kreuz in Jerusalem aufgefunden haben und nach Konstantinopel bringen lassen. Und er hat dann auch den Auftrag erteilt, am Fundort die Grabeskirche zu erbauen. Ein Ort, an dem recht Gegensätzliches, jedoch zugleich Zusammengehöriges stattfand - die Niederlegung des gestorbenen Gottes und seine Auferstehung.

Wie fand Makarios I. zu dieser Idee und wie fanden die beiden schwarzen Männer auf dem Wittenberger Marktplatz zu dem Entschluss, dass die Erneuerung der Kirche und des Staates nötig geworden sind? Wie fanden sie solche Gedanken, von denen man heute sagt, wir sollten sie nicht vergessen, sondern sie erinnern. Dazu der 31. Oktober als besonderen Gedächtnistag gewidmet ist. Sie haben gelesen. Sie haben gelernt. Sie schrieben. Sie dachten. Sie redeten. Sie handelten danach. Und ihr Handeln entsprang nicht so sehr den Affekten, kam eher nicht aus dem Zorn. Sie lasen in dem Buch der Bücher und schrieben wieder Bücher über dieses Buch. Und dadurch blieb dasselbe und verging nicht so schnell wie ein Lied verklingt, eine Ode verhallt und eine Predigt verblasst. Und es klärte sich Vieles. Der Schlamm setzte sich ab. Und in der klarer und klarer werdenden Lösung wuchsen langsam Christalle. Makarios, Luther und Melanchthon wachten mit dem Bibelbuch früh auf und schliefen abends darüber ein. Sie erträumten neue Geschichten, die strukturell irgendwie die alten waren.

Ja - dieses Buch ist immer noch da, ein Buch über dem man immer wieder neu erwachen kann. Die Bibel. Jedes Erwachen findet als persönliche Reformation statt - wie jedes morgendliche Aufwachen. Und diese Wachwerden ist ohne vorherig erquickenden Schlaf und ohne ein gelassenes Vergessendürfen dessen, was am Tag war, nicht zu haben. Das ist die Dialektik aller Aha-Erlebnisse. Es geht um gelassenes Schlafen-Lassen und um ein wirkliches Aufwecken-Möchten. Geschlafen haben wir genug und es scheint so, als ob gerade viele aufwachen wollten, während andere uns einzuschläfern versuchen. Kennen Sie das Gedicht von Rabindranath Tagore?

Ich schlief und träumte,
das Leben sei Freude.
Erwachte und sah -
das Leben war Pflicht.
Ich tat meine Pflicht,
da wurde sie Freude.

Freude - „makarioi este.” Selige sollt ihr sein. Die Sätze der Bergpredigt bzw. Feldrede sind beim Aufwachen gefunden worden, und sie machen jeden Schläfer wach. Sie sind Alternativen in der Individualethik des Alltags, jedesmal, wenn man einen dieser Sätze liest, ist man sofort ein Stück wacher geworden, auch wenn man das Gesagte nicht verwirklichen will oder tatsächlich leider im Augenblick nicht kann. Aber jeder einzelne Satz ist so etwas wie ein verlässliches Gegengewicht in der Realität der Tagesgrausamkeit. Und diese neun Sätze sind zugleich so etwas wie das Inhaltsverzeichnis einer allgemeinen Lehre über „Angemessenes Handeln.”

Weiterhin sind die Seligpreisungen (Mt. 5,1ff) so etwas wie Rezepte für Handeln und Sein. Wenn man sie liest, erkennt man unter Umständen, dass man irgendwie nicht mehr auf dem richtigen Weg war oder ist. Man muss auch nicht immer auf dem richtigen Weg sein - aber es ist gut, wenn man weiß, dass man nicht mehr auf dem richtigen Weg ist. Solches Wissen- bzw. Erkennen-Wollen zu suchen - das ist der Charme des Reformationstages. Deshalb ist dieser Tag auch ambivalent - er ist ja also recht traurig und zugleich ein lustiger Tag. Denn man bekommt Lust, in den Tiefen der Geschichte den Schlamm und die Christalle zu sichten und voneinander zu unterscheiden.

Matthäus schreibt: „Selig sind, die da geistlich arm sind / denn ihrer ist das Himmelreich!” Dieser Satz wurde oft absichtlich missverstanden, als ob damit behauptet wäre, Dummheit und Leichtgläubigkeit wären besonders zu empfehlen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer arm im Geiste ist, der streckt seine leeren Arme aus nach etwas, das ihn erfüllte. Und der Geist kann eigentlich auch nur die erfüllen, die sich leer gemacht haben von all dem Müll, welcher als der Weisheit letzter Schluss öffentlich oft empfohlen wird. Also - die sich auf den Geist hin bedürftig ausrichten - die sind selig zu nennen.

Dazu Lukas in der Lutherübersetzung von 1912: (6,22): „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen deswegen hassen und … euren Namen als einen bösen verwerfen. Freut euch alsdann und hupfet.” Für Hupfen steht im Griechischen das Verbum σκιρτήσατε - fast eine onomapoetische Wendung, die das Geräusch nachzuahmen scheint, das die Spatzen beim Hüpfen machen. - das allen bekannteTschilpen. Gemeint ist die besondere Art der kleinen Vögel sich fröhlich fortzubewegen. Das griechische σκιρτάω kommt im Neuen Testament nur noch an einer einzigen anderen Stelle vor. Als nämlich beim Besuch der schwangeren Maria das Kind der Elisabeth sich in deren Leib bewegt …

Hupfet!

Autor:

Matthias Schollmeyer

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