von dem Gebet (Teil 2)
Rogate 2025

Was geschieht eigentlich, wenn der Mensch betet?
Es ist jedenfalls eine merkwürdige Bewegung, die da beginnt. Keine körperlich psychische, sondern eine innere Wende. Der Mensch, gewohnt, sich in der Welt des Tuns, im Haben und Planen zu verlieren, sammelt sich. Er unterbricht den Strom der Zerstreuung. Und mit dieser Unterbrechung beginnt das Gebet.

Nicht, dass damit schon ein Wort gesprochen wäre. Nicht, dass ein Bild entstünde. Und doch ist da etwas: ein Raum und ein Warten. Vielleicht auch ein Widerstand – gegen die Stille, gegen das Schweigen, das einem entgegenschlägt, wenn man aufhört, die Welt zu benutzen.
Jedoch ist das Gebet kein monologisches Selbstgespräch. Es ist keine Technik, kein „Mentaltraining“, wie es die modernen spirituellen Märkte feilbieten.

Gebet ist die vorsichtige Hinwendung zu einem Gegenüber, das sich nicht aufdrängt – und doch gegenwärtig ist. Wer betet, „sagt“ mehr als Worte. Er stellt sich ein. Er übergibt sich einem Gespräch, dessen erste Silbe nicht er, sondern der Andere spricht.
Dieses Andere - nenne es Gott oder „Gottheit“ - ist nicht nur Adressat des Gebets, sondern sein Ursprung.

Der Mensch betet nicht, weil er es für sich so beschlossen hätte. Er betet, weil etwas in ihm antwortet. Das Gebet ist nicht der erste Schritt, sondern der zweite. Der antwortet auf ein Angerührtsein, ein Erkanntwerden, das der bloßen Vernunft oft verborgen blieb – aber im Innersten aufscheint wie Licht, das von weit her einfällt.

Das Gebet ist deshalb nie „frommes Getue“. Es ist ein Sich-Einlassen. Ein Sich-Aussetzen. Es hat mit Wahrheit zu tun. Mit Wahrheit über sich selbst – und über das, zu dem hin man spricht oder denkt. Wer betet, tritt ein in eine Form der Existenz, die mehr meint als „religiös zu sein“: Es wird sehr persönlich.

Vielleicht ist das Erstaunlichste, dass das Gebet den Menschen nicht ent-wirklicht, sondern hinführt zu dem, was er wirklich selber ist. Es löst ihn nicht von der Welt – es stellt ihn neu in sie hinein. Es „macht“ ihn nicht besser – aber es macht ihn wahrer. Und diese Wahrheit ist, wie so oft, keine Erkenntnis, sondern eine Erfahrung.

Die Erfahrung: Ich bin gemeint. Ich bin gerufen. Ich kann sprechen – und ich werde gehört. Auch wenn die Antwort meist nicht im Wort, nicht im Zeichen, nicht im Wunder kommt. Die Antwort ist schweigendes Wissen. Ein anderes Schweigen als das Verstummen der Welt. Es ist Schweigen vor dem Gegenwärtigen.

Gebet ist – in dieser Tiefe – nie Pflicht. Es ist Geschenk. Doch auch Arbeit. Denn das Herz des Menschen ist träge, und seine Gedanken laufen ihm davon. Deshalb braucht das Gebet Form. Rhythmus, Wiederholung, Wort, Übung und Konzentration. Und manchmal geschieht es, dass das alles stimmt. Moment, Ort, Herz. Dann ist das Gebet nicht mehr bloß etwas, das man tut. Es ist ein Zustand, in den man gerät. Raum und Gegenwart. Dann hat der Mensch den Ton getroffen, in dem Gott sich offenbart. Und sei es nur einen Augenblick lang. Dann ist der Mensch ganz Mensch, der nicht bloß lebt, sondern antwortet. Er ist dann das betende Tier! (Giorgio Agamben) Und hat sich damit in die Richtung des Erhabenen erhoben sein lassen.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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