erhobenen Hauptes …
Hirte, zum Stern schauend
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
MAROLIN heißt die deutsche Manufaktur für Krippen- und Weihnachtsfiguren im südthüringischen Städtchen Steinach. Und deren Figuren sind bekannt für handwerkliche Sorgfalt, detailreiche Gestaltung und ihre Verwurzelung in der traditionellen Krippentradition. Unter den zahlreichen Figuren gibt es eine mit der Bezeichnung „Hirte zum Stern schauend“ - die kleine Statue eines Hirten, der nach oben blickt, offensichtlich den Stern am Himmel betrachtet.
Die Adventszeit gibt Gelegenheit zur Rückgewinnung dieser Haltung dem Vertikalen gegenüber. Der Mensch ist – so hat es die Philosophie schon früh auf den Punkt gebracht – ein aufgerichtetes Wesen. Er hebt den Kopf, um mehr zu sehen als das Futter, welches vor seinen Füßen liegt. Er ist das Tier, das den Himmel nicht ignorieren kann.
Und genau daran erinnert uns der heutige Adventssonntag. Der „Hirte zum Stern schauend“ passt in diesen Gedankenraum: Ein einfacher Mensch richtet seinen Blick nach oben – nicht wegen Berechnung oder Festlegung, sondern aus Verwunderung und Erwartung. Eine Haltung der Wachsamkeit und Offenheit. Die Figur verkörpert archaisch-christliche Symbolik: Der Stern als himmlischer Wegweiser, der Hirte als einfacher Mensch, der nach Erlösung, Orientierung und Licht Ausschau hält.
„Erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe“ heißt es in der kleinen Apokalypse des Lukasevangeliums (Lk21,33). Das ist eine einfache Anweisung. Eine körperliche Geste, die den Kosmos ein Stück mehr in die Reichweite des Menschen heran rücken lässt.
Jesus beschreibt in dem Text, der den heutigen Predigern empfohlen wird, einen Himmel, der die scheinbar vor Urzeiten gegebene Garantie aufgibt: Sterne, die aus der Bahn geraten. Ein Mond, der die Beleuchtung verweigert. Und die Sonne, die ihren Dienst quittiert. Kurz: Die alte Himmelsmechanik verliert ihre Verlässlichkeit. Doch statt Panik empfiehlt das Evangelium: Blick nach oben. Im Moment, in dem der Kosmos versagt, soll der Mensch aufrecht stehen. Nicht geduckt – sondern aufgerichtet. Denn genau dort oben geschieht Entscheidendes:
Der Stern – Sinnbild der kosmischen Ordnung, des Dauerhaften – verliert in der Apokalypse zwar nicht seine Würde, aber sein Monopol. Der Menschensohn kommt nicht auf einem Stern, sondern in den Wolken des Himmels. Die Wolke: das beweglichste aller Himmelsobjekte. Ein Ordnungsentwurf ohne Statik. Die Aura des Unvorhersehbaren. Das Christentum wagt damit eine starke These: Die Welt wird nicht durch perfekte Himmelsuhren gerettet. Sondern durch ein Ereignis, das sich den Berechnungen entzieht.
Advent bedeutet in dieser Logik: Die Würde des Menschen hängt nicht davon ab, wie gut er kontrolliert, was ihn erwartet. Sondern davon, dass er sich dem, was kommt, in aufrechter Haltung aussetzt.
Wir sind vielfach Experten einer gesenkten Existenz geworden. Unsere Tage verbringen wir vertikal verkürzt: Kinn über Bildschirm – Horizont auf Hosentaschenhöhe. Die Wirbelsäule dient der Stabilisierung des Sitzmobiliars.
Die Schrift sagt dagegen: Geht hinaus. Stellt euch hin. Und schaut nach oben. Der Himmel ist nicht dafür da, vergessen zu werden. Es wird vorkommen, dass man beim Aufschauen nichts Spektakuläres erkennt: Ein Flugzeug. Einen Vogel. Einen einzigen Stern. Das ist zu wenig für eine Katastrophenvision, aber genug für eine Hoffnungsgeographie. Gerade diese absichtslose Himmelsbeobachtung – dieser Mikromut des Blickhebens – ist bereits ein Akt des Glaubens und ein Training gegen die Schwerkraft der Vergeblichkeit.
Das gilt auch besonders auf dem Friedhof: Der Glaube beugt den Rücken nicht länger vor dem Tod. Er richtet sich auf und hält dem Himmel stand, obwohl nichts zu sehen ist außer der Möglichkeit des Entscheidenden - dass in den Wolken etwas erscheint, von dem keiner weiß, was es ist - der Menschensohn. Mit diesem sonderbaren Würdetitel, von dem die neutestamentliche Wissenschaft zugibt, ihn noch nicht entschlüsselt zu haben, ist etwas im Anzug. „Alles wird vergehen“ – sagt der Menschensohn. Und wir wissen: Der Körper. Die Ziele. Die Sicherheiten. Doch er fügt auch hinzu: „Aber meine Worte werden nicht vergehen.“
Diese Botschaft will kein Weltuntergangsfilm sein, wie „2012” einer gewesen ist. Sie ist die Erinnerung daran, dass die menschliche Sinn-Welt nicht so sehr auf Planetenbahnen begründet bleibt, sondern auf ein ausgesprochenes Versprechen. Advent: Die Zeit, in der man wieder lernt, den Kopf zu heben. Nicht trotzig. Nicht hektisch suchend. Sondern wach. Der Menschensohn kommt nicht, weil wir nach oben schauen. Aber wir erkennen sein Kommen nur, wenn wir es tun. Also: Aufrichten. Aus dem Zimmer treten. Dem Himmel begegnen. Wer so in der Welt steht, leugnet nicht deren Ernst aber lässt sich von diesem Ernst auch nicht erdrücken und griesgrämig zurück bleiben.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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