auf den 28. Oktober
Konstantin an der Brücke

Es war spät in jener Oktobernacht, als Kaiser Konstantin, der Sohn des Constantius, den Helm vom Haupt nahm und, schwer von den Entscheidungen des Tages, in seinem Zelt am Tiber ruhte. Die Luft war still, wie sie nur in Rom still sein kann, wenn der Mond die Oliven silbern färbt und in der Ferne die Hunde bellen. Sein Heer schlief in der Ebene, ringsum brannten die Wachfeuer, der Rauch zog in dünnen Fäden über die Felder, und in der Ferne, über den dunklen Baumkronen, glänzte die Silhouette der Brücke – der Milvischen Brücke – wie eine leise gespannte Saite zwischen Erde und Himmel.

Konstantin war müde, aber Schlaf wollte sich nicht finden. In seinem Innern wogte der Streit der Götter. Er, der nicht an einen Gott glauben wollte, weil er zu viele gekannt hatte, legte sich nieder und versuchte, das Denken zu entlassen. Da begann die Nacht zu sprechen.

Zuerst kam das Flimmern. Es war kein Traum, kein Bild des Überdrusses, sondern eine feine, beinahe körperliche Helligkeit, die wie Atem durch das Zelt ging. Dann ein Laut, leiser als das Rascheln eines Vorhangs – aber gewiss kein Laut dieser Erde. Und plötzlich stand es da: das Zeichen. Kein Kreuz aus Holz, kein Zeichen der Hinrichtung, sondern ein leuchtendes, überirdisches Gefüge aus Linien und Feuer, aus Licht, das nicht blendete, sondern sich wie Sinn in die Augen legte. Zwei Strahlen kreuzten sich, und an ihrem Schnittpunkt lag ein Glanz, der sich zu einem Wort verdichtete: In hoc signo vinces.

Er sah es, und er wusste, dass er es nicht erfunden hatte. Kein Mensch erfindet das Unbegreifliche. Er stürzte aus dem Bett, rief nach seinem Schreiber, nach den Dienern, nach Farbe, nach Gold und Zinnober. Die Maler kamen – verschlafen, verwirrt, erschüttert von der Hast ihres Herrschers. „Dies“, sagte er, „malt! Dieses Zeichen – auf jedes Schild, auf jeden Panzer, auf jeden Wagen. Bis der Morgen kommt, soll kein Mann in meinem Heer mehr schlafen!“

Sie arbeiteten schweigend. Überall glomm es, auf Tuch, auf Erz, auf Leder. Das Licht der Lampen mischte sich mit dem Nachleuchten der Vision, und es war, als läge ein unsichtbarer Strom über dem Lager. Selbst die Pferde stampften anders, als wüssten sie, dass eine andere Zeit angebrochen war.

Und dann kam der Morgen.

Der Nebel lag dicht über dem Tiber, und das Geräusch der Schritte, der Trompeten, des Aufbruchs mischte sich mit jenem unbeschreiblichen Gefühl, dass etwas Entscheidendes geschehen werde. Die Sonne brach durch wie ein goldener Speer, und in ihrem Glanz lag, noch einmal, das Zeichen – schwächer, aber gegenwärtig. Dann setzte sich das Heer in Bewegung, ein einziger, rollender Atem aus Eisen und Glauben.

Die Brücke war schmal, aus schweren Quadern gebaut, und das Wasser darunter glitt träge wie eine erschöpfte Zeit. Auf ihr, auf dieser Brücke zwischen den Welten, trafen sie aufeinander: die alten Götter und das neue Zeichen. Maxentius kämpfte mit der Kraft der Verzweiflung, doch seine Reihen zerfielen, als hätte die unsichtbare Hand des Traums sie berührt. Männer, Pferde, Waffen stürzten in den Fluss. Das Wasser färbte sich rot, die Brücke bebte, und das Zeichen glänzte auf den Schilden im Sonnenlicht.

Als der Abend kam, stand Konstantin am Ufer. Der Wind hatte sich gelegt. Er sah auf den Tiber hinab, wo die Reste der Schlacht trieben – und über all dem lag ein Frieden, der nicht von dieser Welt war.

Man sagt, in diesem Augenblick habe der Kaiser gewusst, dass das Reich nicht mehr ihm gehörte, sondern einem Anderen. Denn wer im Traum ein göttliches Zeichen empfängt und ihm gehorcht, der hat seine Herrschaft schon abgelegt.

Die Brücke steht heute noch. Wer sie überquert, hört, wenn er still genug ist, manchmal das ferne Pochen eines Hammers auf Erz – das Pochen jener Nacht, in der das Staats-Christentum geboren wurde aus dem Traum eines Mannes, der Farbe verlangte, bevor noch der Morgen anbrach …

Autor:

Matthias Schollmeyer

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