Komiko-Theologie
zum 70. Geburtstag Helge Schneiders
- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Es gehört zu den paradoxen Leistungen deutscher Post-Nachkriegskultur, dass ausgerechnet dieser Jazzmusiker und Komiker eine kleine Ersatz-Theologie für das religionsmüde Spätbürgertum entwirft. In seiner großartigen Nummer „Der liebe Gott“ aus dem Album „Akopalüze Nau“ lässt Helge Schneider das alte Weltenschöpferwesen nicht in himmlischer Majestät auftreten, sondern in einer Wohnung mit zu flachem Dach sitzen - deshalb schlechter Antennenempfang - vor überquellender Spüle. Gott vegetiert dort mehr als er lebt, alleinstehend, unverheiratet, aber „froh“. Er strickt Socken, kocht Kamillentee aus geschenkten Beuteln und besitzt keinen einzigen Pfennig.
Ach, da hat man doch seine Freude daran! Die transzendentalste Figur aller philosophischen Großdenkereien wird in den Humus des Banalen hinabgebettet. Was die Theologie als „Schöpfungsakt“ kennt, erscheint hier als kreative Resteverwertung aus dem Kühlschrank. Aus übrig gebliebenem Ton formt Gott die Erde, „schmeißt“ sie ins All und nennt sie „The Earth“ – denn er ist Amerikaner. Der Weltanfang dagegen ist als Improvisation gedacht: Keine majestätische Genesis, sondern eine kosmische Spielerei, die zwischen Sandmännchen und Abendteezeit geschehen sein mag. So Helge Schneider ...
Doch in dieser Groteske liegt eine tiefe Pointe. Die Kirchenväter haben diese Sache mit dem Begriff der „Kenosis“ (Entleerung) beschrieben - die Selbsterniedrigung Gottes. Helge zeigt, ohne es auszusprechen: Gott wird nicht glaubwürdig durch den Überfluss, sondern durch seine Armut. Der ewige Schöpfer ohne Spülmaschine ist ein theologisches Bild, das sich mit der Logik der Inkarnation überschneidet. Gott teilt damit die Bedürftigkeit der Kreatur. Jeder Teebeutel, der ein zweites Mal aufgebrüht wird, ist Ikone des göttlichen Mitseins unter uns Menschen geworden.
Philosophisch ist das Ganze eine Variation über die Zufälligkeit des Seins. Dass wir existieren, ist - in Schneiders Bildsprache - kein Auto-Rache-Akt des bösartigen Demiurgen, sondern das Nebenprodukt einer kosmischen Improvisation. Es hätte auch anders kommen können. Und - in jedem Sternensystem geht es am Ende ohnehin immer schief, weil mindestens einer „Quatsch macht“. Schneider erzählt hier die Anthropodizee als Klamauk. Die Welt geht unter, weil Menschen existieren und Quatsch machen – und das wiederholt sich tausendfach.
Die Gestalt der ersten Menschen, bei „Toys are US“ auf dem Neptun erworben, als regenwurmähnliche Wesen mit Standesamt und Apotheke, unterläuft jede theologische Anthropologie. Kultur, so wird gezeigt, ist kein exklusives Vorrecht des Homo sapiens, sondern ein kosmisches Allerweltsphänomen. Denn der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, sondern eine Variante unter vielen – zufällig, grotesk und doch mit eigener Würde.
So entsteht eine theologia ineptiarum (Theologie der Blödelei). Der liebe Gott, wie ihn Schneider imaginiert, ist ein Gott der Zwischenräume – nicht fern und hoch, sondern nah, ärmlich, improvisierend. Das Lachen, das er auslöst, ist keine Blasphemie, sondern ein liturgisches Signal: die Entlarvung der falschen Ernsthaftigkeit, die Entdeckung der göttlichen Nähe im Absurden.
Heute am 30. August wird Helge Schneider siebzig Jahre alt. Man könnte ihn einen Komiker nennen – und das stimmt. Man könnte ihn aber auch einen Theologen nennen – und das stimmt nicht weniger. Denn wer uns den Gott ohne Geld, mit Restmaterie im Kühlschrank und Trabrenn-Ausflügen nach Dienstlaken zeigt (an dieser Stelle schaut übrigens Klaus Dieter Hüsch um die Ecke), hat mehr über Inkarnation verstanden als mancher Dogmatiker davon aufzuschreiben wusste ...
Autor:Matthias Schollmeyer |
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