das Wagnis
Pius XII.

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Himmelfahrt der Unantastbaren
Es gibt im Jahreskreis der Feste jene wenigen Tage, an denen das Christentum in seiner katholischen Gestalt den Blick auf etwas richtet, das jenseits der bloßen Nachzeichnung biblischer Episoden liegt – Feste, die nicht nur auf ein überliefertes Ereignis reagieren, sondern auf eine jahrhundertelange Auslegung, auf eine lange, in Schichten gewachsene Meditation über eine Gestalt, die von Anfang an im Halbschatten des Unaussprechlichen stand. Maria Himmelfahrt – das Fest der Aufnahme der Gottesmutter mit Leib und Seele in die himmlische Sphäre – ist ein solcher Tag.
Historisch betrachtet, ist der Ursprung dieses Festes ein Werk der Kontinuität und der Verstärkung. Bereits im 5. und 6. Jahrhundert tauchen in Ost und West liturgische Feiern auf, die die „Dormitio“ – das Entschlafen Mariens – würdigen. Im Osten prägte sich der Gedanke, dass dieses Entschlafen zugleich ein Hinübergehen in die Unvergänglichkeit sei; im Westen entwickelte sich daraus die Vorstellung einer leiblichen Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit. Man spürt hier eine tiefe anthropologische Intuition: Wer den Leib Christi getragen hat, kann nicht der Verwesung anheimfallen.
Im Jahr 1950, in einer Zeit, die von den Trümmern des Zweiten Weltkriegs und den neuartigen Schrecken der Atomära gezeichnet war, setzte Papst Pius XII. diesem Jahrhunderte alten Glaubensgut das unmissverständliche Siegel der Unfehlbarkeit auf. Mit der Apostolischen Konstitution Munificentissimus Deus erklärte er, dass
„die unbefleckte Mutter Gottes,
die allzeit Jungfrau Maria,
nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufs
mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit
aufgenommen wurde“.
Das Dogma selbst war keine plötzliche Erfindung, sondern das kirchliche Endstadium einer jahrtausendealten, kultischen Gewissheit – die nun aus einer lange geistig gewachsenen Bildgestalt zur marmornen Statue wurde.
Religionsphilosophisch ist hier das Maß aller Dinge nicht der historische Nachweis – denn ein Ereignis wie dieses entzieht sich den Archiven –, sondern das, was man den „Kanon des Möglichen“ im Raum der Glaubensvorstellung nennen könnte. Die Aufnahme Mariens ist kein Naturereignis, sondern ein Signum: Sie steht für die Durchlässigkeit zwischen der Welt des Sichtbaren und der des Unsichtbaren. Sie bezeugt, dass die Materie, wenn sie mit der göttlichen Absicht durchtränkt ist, nicht im Staub endet, sondern aufsteigen darf – und dass dieser Aufstieg nicht nur dem Einzelnen, sondern dem ganzen Menschengeschlecht eine verheißungsvolle Richtung gibt.
Die Altkatholiken, die sich im 19. Jahrhundert von Rom lösten, stehen diesem Dogma mit höflicher Distanz gegenüber. Sie anerkennen Maria als Mutter des Herrn und verehren sie, aber die Unfehlbarkeit des Papstes – erst recht in einer solchen, nicht direkt biblisch belegten Glaubensaussage – wollen sie wohl nicht verwerfen, aber auch nicht behaupten, wie dieser Papst es glaubte tun zu dürfen. Für sie ist die Aufnahme Mariens eine ehrwürdige Legende, geistlich fruchtbar, aber nicht verpflichtend als Glaubenssatz. So zeigt sich im Spiegel dieses Festes auch die Bruchlinie zwischen zwei Weisen, Tradition zu verstehen: als fortschreitendes, organisch wachsendes Glaubensbewusstsein oder als Sammlung verbindlicher Aussagen, deren Autorität aus einem gestifteten und deshalb unfehlbar zu nennende Lehramt hervorgeht.
Dass der 15. August in den - Gott sei Dank - noch katholischen Landschaften nicht im Diskurs endet, sondern im Duft von Kräutern, im Gang zur Kirche, in den grünen und goldenen Sträußen, die an Stalltüren und Herrgottswinkeln ihren Platz finden, ist kein bloßes Brauchtum. Es ist die Übersetzung des Dogmas in eine leibhaftige, alltagstaugliche Liturgie. Das Fest trägt die Gestalt einer sommerlichen Zwischenwelt: die Felder noch voller Wärme, der Himmel schon im Glanz der kommenden Erntezeit, und inmitten dieses Übergangs die Feier einer Frau, die – so glaubt es die Kirche – diesen Übergang in die endgültige Vollendung bereits gegangen ist.
So ist Maria Himmelfahrt nicht nur eine Erzählung von einem einzelnen, einmaligen Geschehen, sondern eine Chiffre für das unerschütterliche Vertrauen, dass das Endgültige nicht das Grab ist, sondern die Verwandlung in Licht.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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