15. August
Mariae Himmelfahrt

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Maria Himmelfahrt
Inmitten der hohen Tage des beginnenden Spätsommers, wenn die Sonne schon nicht mehr ganz die grelle Strenge des Juli besitzt und doch das Land noch in goldener Wärme hält, liegt Maria Himmelfahrt wie eine leuchtende Insel im Kirchenjahr. Seit den ersten Jahrhunderten bezeugt, vom Volksglauben mit einer Innigkeit umrankt, die der Theologe nur bewundernd zur Kenntnis nehmen kann, wurde für dieses Fest im Jahr 1950 von Papst Pius XII. in seiner ganzen Herrlichkeit ein Dogma verkündet: Dass nämlich die Mutter Gottes, am Ende ihres irdischen Lebens, mit Leib und Seele in die Himmel aufgenommen wurde. Ein Triumphtag der Vollendung, ein strahlendes Gegenbild zu den Mühen und Schwerezügen der Erde.
Und wie das so war und immer noch ist in der alten Kirche: Die Dogmen schwebten nie im abstrakten Raum, sie setzten sich nieder in das Konkrete, in das Greifbare, in den Duft und die Farbe der Dinge. So hat Maria Himmelfahrt in unseren Landschaften längst seine irdische Begleitung gefunden: die Kräuterweihe. Noch vor Sonnenaufgang sah man früher die Kinder mit Müttern und Großmüttern in den spätsommerlichen Wiesen, in den Rändern der Felder, wo der Hafer reift und der Roggen längst in Garben stand. Es war ein emsiges Suchen und Pflücken, ein fast liturgisches Gehen, als folgten sie unsichtbaren Glockenschlägen: Johanniskraut und Schafgarbe, Kamille und Beifuß, Königskerze mit ihrem kerzengeraden, goldglühenden Blütenstand, dazu ein Zweiglein Minze, ein Büschel Dill, ein Halm vom reifen Korn – alles wird gebunden zu jenem wohlgeordneten Strauß, dem Kräuterbuschen.
Gegen Mittag, wenn das Dorf die Glocke des Festes hörte, zogen sie zur Kirche. Die Sonne hängt warm über den Ziegeldächern, die Kastanien werfen tiefe Schatten, und der Kirchplatz ist ein stilles, erwartungsvolles Meer aus Menschen, Kindern, Sträußen. Der Duft der Kräuter mischt sich mit Weihrauch – eine Begegnung zweier Himmel, der pflanzlich-irdische und der geistlich-überirdische. Im Gottesdienst, vor dem Evangelium, traten die Menschen nach vorne, ihre Buschen in den Händen, und der Priester sprach den alten, feierlichen Segen:
„Herr, unser Gott, du hast Maria über alle Geschöpfe erhoben
und sie in den Himmel aufgenommen.
An ihrem Fest danken wir dir für alle Wunder deiner Schöpfung.
Durch die Heilkräuter und Blumen schenkst du uns Gesundheit und Freude.
Segne diese Kräuter und Blumen.
Sie erinnern uns an deine Herrlichkeit
und an den Reichtum deines Lebens.
Schenke uns – auf die Fürsprache Mariens – dein Heil.
Lass uns zur ewigen Gemeinschaft mit dir gelangen
und dereinst einstimmen im Lob der ganzen Schöpfung,
die dich preist durch deinen Sohn Jesus Christus in alle Ewigkeit.“
Amen.
Und dann gingen sie zurück, über die staubigen Wege zwischen den Feldern, die Kornstoppeln knisterten, die Linden summten noch von Bienen, und in den Händen hielten sie den nun gesegneten Buschen wie einen Schatz. Zu Hause ward er sorgfältig in den Herrgottswinkel gestellt – dort, wo das Kruzifix hing und vielleicht das Bild der Schmerzensmutter –, oder in den Stall gebracht, wo er wie ein stiller Gefährte über dem Vieh wachte. Ein Jahr lang blieb er, bis der nächste 15. August kommen wird, und ein neuer Strauß seinen Platz einnimmt.
So berührte sich an diesem Tag Himmel und Erde, Dogma und Duft, die gekrönte Maria und das Pfeifen des Spatzen im Roggen. Alles hatte seinen Platz: das Ewige und das Vergängliche, das Gold der Krone und das Grün der Kräuter, die Prozession unter dem Kirchhimmel und der stille Gang über den Feldrain. Wer an diesem Tag mitging, der begriff, dass Schönheit selbst eine Form der Wahrheit ist. Und es ist hier und da immer noch genau so - wie früher.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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