die Kirche
und die Geisterbahn

Die Geschichte des Herrn Albinus Fahlberg

Es war, als habe das Schicksal diesem Mann, dessen Name schon in sich etwas spröde Würdevolles, zugleich aber auch Verschroben-Komisches barg, den Weg ins Schaustellergewerbe vorgeschrieben, ohne ihn je gefragt zu haben, ob er diesen Weg auch wirklich wollte. Albinus Fahlberg, Sohn eines Kürschners aus Gotha, hatte nie den Sinn für die große Welt der Warenmärkte, aber früh eine unerklärliche Neigung zum Theater des Grotesken, zur Bühne des Schrecklichen entwickelt. So kam es, daß er, kaum zwanzigjährig, in eine verrostete, halb zerlegte Geisterbahn investierte, die er auf einem Jahrmarkt in Ilmenau billig erstehen konnte. Er restaurierte sie, wie er meinte, mit liebevoller Akribie, schraubte Fratzen aus Gips in die dunklen Nischen, baute Särge mit aufspringenden Deckeln, ließ aus Lautsprechern das Gekicher von Hexen und das Knurren von Wölfen ertönen.

Jahrzehnte lang fuhr man hinein in die kleine Bahn, hinein in den engen, rumpelnden Wagen, und fuhr ebenso heraus, in einem Zustand des Erschreckens, des halb belustigten Schauderers. Fahlbusch stand dann draußen, zog den Filzhut, knöpfte sich die Weste zu, und sein Gesicht trug diesen Zug aus Stolz und geduldiger Resignation, den nur der Schausteller kennt, der weiß, daß die Leute lachen über seine Kunst und sie doch zugleich bezahlen.

Doch die Zeiten veränderten sich. Eine Generation, die mit den grausameren Bildern der Filme, den grelleren Schrecken der virtuellen Welt groß geworden war, lachte nicht einmal mehr. Sie sah in Fahlbergs Fratzen nur billige Tricks, in den knarrenden Holzgestellen nur altmodische Komik. Niemand ließ sich mehr Angst machen. Niemand zahlte für den Schauder.

Es war, als hätte man ihm das Herz aus der Brust genommen, und dennoch: Albinus Fahlberg war kein Mann, der in Bitterkeit erstarrte. Er saß eine Nacht lang in seinem Wagen, mitten im verstaubten Gestell seiner Geisterbahn, und sann nach. Und siehe: wie eine Eingebung von oben, vielleicht auch nur ein stiller Trotz, kam ihm die Idee, die Bahn nicht länger dem Schrecklichen zu weihen, sondern dem Erhabenen.

Er ließ die Gipsfratzen entfernen. Statt der Totengerippe stellte er schlanke Statuen der Weisheit auf, halb aus Papiermaché, halb aus bemaltem Holz. Statt der Hexenkessel erbaute er kleine, leuchtende Grotten, in denen man die Ruhe antiker Philosophen ahnte. Statt der kreischenden Gespenster ertönten nun Madrigale von Pergolesi, und aus einem künstlichen Firmament senkte sich mildes Licht.

Und siehe da: Die wenigen, die eintraten, fuhren anders heraus. Sie hatten nicht Zombies und Vampire gesehen, sondern waren, so glaubten sie, von hohen jnd herrlichen Frauen mit heiligen Küssen bedacht worden und von weisen Männern mit Traktaten beschenkt, die — schwer, aber nicht unverständlich — das Gefüge von Himmel und Erde, von Leib und Geist, in wunderbarer Klarheit aufschlossen.

Es war ein großartiger, fast lächerlicher, aber doch tief bewegender Versuch, das Alte in Neues zu wandeln. Und eine Zeitlang ging es gut. Fahlberg  stand draußen, nicht mehr als der Hüter einer Gruselbude, sondern als ein würdiger Zeremonienmeister, der die Menschen in einen kurzen Umgang mit dem Wahren und Schönen geleitete.

Doch bald, sehr bald, merkte er, daß es auch damit sein Bewenden hatte. Denn was er den Menschen geben konnte, hatte er gegeben. Es war, als wäre seine Mission erfüllt. Eines Morgens, noch ehe die Sonne ganz über den Thüringer Wald gestiegen war, schloß er die Bahn. Er trat hinaus, sah auf das Gestell, das ihn so viele Jahre begleitet hatte, legte die Hand an die Bretter, wie man eine alte Geliebte noch einmal berührt, und ging dann davon.

Und wenn man ihn später in Gotha, in Erfurt oder in Weimar sah, wie er, in gebrauchtem Mantel, aber mit leichtem Schritt, durch die Straßen ging, dann war es, als läge über seinem Gesicht ein seltsames Lächeln: das Lächeln eines Mannes, der gewußt hat, daß er in beiden kleinen Geisterbahnen das ihm Aufgetragene erfüllt und vollendet hat.

Autor:

Matthias Schollmeyer

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