De taedio carnis spiritum portandi
– et quid contra id fieri possit

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
VON DER UNLUST DES FLEISCHES, DEN GEIST ZU TRAGEN - UND WAS MAN DAGEGEN TUN KÖNNTE ...
Es ist eine der tiefsten Verwirrungen unserer Zeit, dass der Begriff „Geist“ inflationär gebraucht wird, ohne die Herkunft dessen, was damit gemeint sein soll, die ganze Tragweite des Begriffs samt aller seiner Heiligkeit zu bedenken. So spricht man etwa vom „Geist der Zeit“, vom „Geist der Toleranz“, vom „freien Geist“ – und meint doch häufig nur den flackernden Widergeist menschlicher Selbstbehauptung oder eine seelische Wetterlage, welche zwischen Angst und Begehren oszilliert. In Wahrheit ist dieser „Geist“ oft nicht mehr als ein Nebel aus Instinkt, ein dünn gewordenes Gemisch aus Trieb, Affekt und irgendwelchen Erinnerungen. Es ist auf jeden Fall nicht der Geist, den die Schrift meint, wenn sie von Ruach (רוּחַ) spricht, nicht der Geist der Neshamah (נשמה), den der Schöpfer dem Menschen „in die Nase blies“ (Gen 2,7).
Der Mensch – und dies sei in aller theologischen Nüchternheit gesagt – ist nicht der Träger eines autonomen Geistes im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr der Verwalter eines leibgebundenen Lebenshauchs, der Nefesh (נֶפֶשׁ). Diese Nefesh gurgelt und stöhnt, sie fiebert, sie träumt, sie will – doch sie weiß nichts von sich. Sie ist ein schweres, atmendes, ängstliches Leben, das sich selbst zumeist missversteht. Wenn also von „Geist“ geredet wird, so redet man oft nur von den inneren Winden eigener Bedürftigkeit.
Und eben hierin liegt das Drama begründet – und zugleich das Heil. Der Mensch ist nicht fähig, aus sich selbst heraus Geist zu sein. Er empfängt göttlichen Geist – oder bleibt sich als Mensch selbst überlassen. Und das ist, in letzter Konsequenz, die Hölle: sich selbst überlassen sein zu müssen. Der Mensch ist nur dann wirklich Geist, wenn er teilhat am ungeschaffenen Geist Gottes, dem Heiligen Geist (πνεῦμα τὸ ἅγιον), der nicht aus dieser Welt ist, sondern aus dem Herzen der göttlichen Gemeinschaft stammt – die Alte Kirche hat das als die Bewegung der Liebe zwischen Vater und Sohn beschreiben wollen und dazu eine eigene Lehre zu entwickeln versucht - die Trinitätslehre.
Wie aber geschieht diese Teilhabe? Wie kann der schwere, leibumgürtete Mensch, dessen Seele zittert zwischen Trieb und Trauma, Zugang finden zu jenem lichten Geist, in dessen Kraftfeld die Engel und Seligen wandeln?
Man stelle sich einmal einen Menschen vor, der in einem stickigen Raum sitzt, von den eigenen Ausdünstungen betäubt, den Blick gesenkt, die Lungen voll schlechter Luft. Die Fenster sind vernagelt, die Tür verbarrikadiert – und der Mensch nennt diesen Zustand Freiheit, weil er vergessen hat, dass es frische Luft gibt, aber stolz darauf ist, auf den groben gestampften Lehmfußboden schauen zu können. So lebt der Mensch in sich – und nennt seine inneren Gerüche „Überzeugung“, seine Ängste „Vernunft“, seine wiederholten Begehren „Identität“. Der Heilige Geist aber ist wie eine frische Windböe, die plötzlich durch einen Riss in der Wand dringt. Er durchweht die Kammer, hebt den Vorhang, lässt Licht herein und bringt den Menschen zum Husten – ein erster, heiliger Schock, das Hinauswürgen des alten, verbrauchten dunstigen Ichs. Tja …
Diese frische Bewegung, dieser Heilige Geist, reinigt nicht, indem er vernichtet, sondern indem er verklärt. Er nimmt das zerbrochene Herz des Menschen ernst, aber er bindet es nicht mehr an die Triebe und Ticks seiner Vergangenheit. Er hebt es. Er macht aus der Nefesh – aus dem atmenden Tier – einen Geistträger, ein geistdurchwehtes Wesen, das über alles Sehen hinaus auch Schauen kann. Anschauen, wie man von den Engeln annimmt, dass diese es schon einigermaßen vollendet zustande bringen können müssten : angstfrei, schönheitsoffen, liebend. Ließ Nietzsche Ähnliches nicht seinen Zaratustra formulieren: "Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde." Das Seil ist vielleicht der Geist - oder das, was am anderen Ende des Seils auf ihn wartet: Der Übermensch, der "Superman". Wobei natürlich völlig klar ist, dass diese beiden Begriffe längst verbrannt sind, weil sie von den Falschen für Ideologie und billige Unterhaltung annektiert worden sind.
Der Heilige Geist ist also kein theologisches Zusatzangebot zur anthropologischen Grundausstattung, sondern der einzig denkbare Weg, wie der Mensch vom Getriebenen zum Berufenen wird. Vom Sklaven zum erbenden Kind. Vom Homo Psychologicus zum Homo Pneumaticus.
Der Geist Gottes verwandelt. Er verklärt. Er befreit das von sich selbst, was der Mensch (meist sogar noch stolz) menschlichen Geist nennt. Nicht in der zurechtgelegten theoretischen Ideologie, sondern im Gebet der Stille.
Wer je erlebt hat, dass eine Angst ausfiel, ein Zwang verloren ging oder wich, eine dunkle Lust sich in klärendes Licht verwandelte – der hat sicherlich einen Hauch jenes Heiligen Geistes gespürt, der von Ewigkeit her zu uns auszugehen versucht und der allein das Antlitz der Erde zu erneuern verspricht - indem er dem Menschengeist aufhilft.
So beten wir zu Pfingsten nicht darum, dass unser Geist triumphiere, sondern dass wir uns von Gottes Geist finden lassen. Wenn er denn kommen würde, er höbe den Menschen heraus aus der beengten Kammer, von der wir weiter oben einige Bemerkungen gemacht haben und sie auf dem Bilde mit deutlichem Schauder wahrnehmen - und stellte ihn dorthin, wo die Engel musizieren. Nicht mehr als Gefangener seiner eigenen Gedanken. Sondern als ein freier Geist im Licht der Heiligkeit Gottes.
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