Oknos, Sisyphos und die Danaiden
das Schlüsselamt Petri

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Deutungen im Licht der Barmherzigkeit
In einer wenig bekannten, wohl apokryphen Notiz, die der kirchlichen Überlieferung zufolge auf Gregorius Thaumaturgos zurück gehen soll, erscheint eine eigenartige Szene, die zunächst wie ein Anhang zu den griechischen Totenmythen anmutet – und sich doch, bei näherer Betrachtung, als eine christlich durchleuchtete Parabel über die Hoffnung und die Tiefe der göttlichen Gnade erweist.
Die Überlieferung berichtet, dass am Ende der Zeiten drei Seelen vor der Pforte des Himmels erscheinen: Oknos, der unermüdliche Seilflechter, Sisyphos, der ewige Steinheber, und eine der Danaiden, die Trägerinnen des zerrinnenden Wassers. Alle drei stehen – in der antiken Welt – für das Bild sinnloser, endloser Mühe. Und doch: Der, der ihnen nun gegenübertritt, ist nicht Hades, sondern Petrus, Träger des Schlüssels und Zeuge des Erbarmens. Und dieser findet für jeden ein Wort, das zum Öffnen der Pforte von hier nach dort wird.
Oknos – Der Geduldige im Schatten
Oknos, so berichtet Pausanias, ist jener, der in der Unterwelt ein Seil aus Binsen flicht – und doch nie zum Ziel gelangt, weil eine Eselin das Werk am anderen Ende fortwährend auffrisst und auf diese Weise zerstört. Ein Bild der fruchtlosen Anstrengung, des vergeblichen Einsatzes.
Und doch liegt in diesem Bild etwas Tieferes. Oknos ist keiner, der aufbegehrt. Er ist nicht verführerisch, nicht rebellisch, nicht gewalttätig. Er tut – und wird aufgezehrt. So wird sein Tun zum Bild jener stillen Gerechten, deren Mühe von der Welt verschlungen wird, ohne Anerkennung, ohne Ergebnis. Ihr Leben scheint vergeblich, und doch trägt es die Form des Treuen, des Beharrenden, des Ausharrens.
Hier beginnt eine Deutung, die über das Mythologische hinausführt. Die christliche Sicht erkennt im vergeblichen Tun nicht nur eine Strafe, sondern auch ein Gleichnis: dass Gerechtigkeit nicht am Erfolg, sondern an der Treue gemessen wird. Oknos ist das Bild jener, die im Schatten leben und eben darin das Licht bezeugen – ohne es selbst zu sehen.
Die Danaide – Die tragende Seele
Die Geschichte der Danaiden zeigt Frauen, die Wasser in durchlöcherte Gefäße schöpfen – endlos, zwecklos, in ewiger Wiederholung. In der antiken Sicht ist dies Strafe für den Mord an ihren Ehemännern, doch in der späteren Auslegung, besonders in der syrischen und ägyptischen Deutungstradition, verwandelt sich das Bild.
Die Danaide, die nach Gregorius bei Petrus am Himmelstor erscheint, trägt – ohne Groll, ohne Empörung ihre Last. Diese Last ist nicht mehr Schuld, sondern Sinnbild. Was zunächst wie eine Farce erscheint, wird zu einem Abbild der vielen ungezählten Mühen, die in der Geschichte von Frauen getragen wurden: in unsichtbarer Arbeit, im Schweigen, im Tragen ohne Lohn.
Und das Wasser, das zerrinnt, wird hier zum Gleichnis für die Zeit selbst, für das Tun, das sich nicht festhalten lässt – und dennoch seinen Ort im göttlichen Gedächtnis hat. Keine Träne geht verloren, sagt die Liturgie. Und das Wasser, das im Fass verschwand, hat doch seinen Weg in das Buch des Lebens gefunden.
Sisyphos – Der Umkehrende
Sisyphos, König von Korinth, erscheint im Mythos als Archetyp des Rebellischen: listig, trotzig, dem Tod entkommen wollend. Doch die Strafe, die er empfängt – den Stein zu rollen, der immer wieder zurückstürzt –, hat in ihrer Endlosigkeit auch eine Form der Läuterung.
Denn das Maßlose, das sich gegen das göttliche Maß erhebt, wird hier durch das eigene Tun zu sich selbst zurückgeführt. In der Unerreichbarkeit des Ziels, im endlosen Versuch, bricht das Selbstherrliche. Aus Stolz wird Einsicht, aus Selbstgenügsamkeit Reue. Die Unerreichbarkeit des Zieles wird zur Offenheit für das, was nicht aus eigener Kraft erreicht werden kann. So wird der Stein, der stürzt, zum Lehrer. Und der Weg, der nie ankommt, wird zum Ruf nach Erlösung.
Petrus - und die Gnade am Tor
In der apokryphen Szene spricht Petrus nicht das Urteil eines Richters, sondern das Wort eines Zeugen der Gnade. Für jeden der drei findet er einen Satz – nicht als Entschuldigung, sondern als Durchblick auf das, was unter der Oberfläche verborgen lag: die Spur der Sehnsucht, das Maß an Geduld, den Anklang von Umkehr.
Die Kirche spricht von einem „Gnadenschatz“, einem Reichtum an Verdiensten, der aus dem Leben der Heiligen hervorgeht, aber vor allem aus der unendlichen Fülle Christi selbst. In dieser Sicht ist die Gnade keine Reaktion, sondern ein vorausliegendes Licht, das auch dort leuchtet, wo noch keine Antwort gegeben wurde.
So kann selbst der Stein des Sisyphos, das Seil des Oknos, das Wasser der Danaide – Symbole der Sinnlosigkeit – in der letzten Deutung verwandelt werden in Vorbereitungen auf das Licht. Nicht als Verdienst, sondern als Öffnung. Als Wunde, die den Ort der Heilung vorbereitet hat.
Die Tradition der Kirche kennt das letzte Gericht als Offenbarung. Nicht bloß als Abrechnung, sondern als Entbergung: Das, was verborgen war, wird sichtbar. Und es kann geschehen, dass dort, wo wir nur Sinnlosigkeit sahen, ein verborgenes Ja zum Leben sichtbar wird.
So bleibt der letzte Satz über das Menschsein nicht dem Mythos überlassen, sondern der christlichen Hoffnung, die stärker ist als der Fluch endloser Wiederholung.



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