Friedensgebete – wir brauchen sie

Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat, dichtete Jochen Klepper (1903–1942). | Foto: pingpao – fotolia.com
  • Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat, dichtete Jochen Klepper (1903–1942).
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Jeden Donnerstag kommen im Magdeburger Dom Menschen zum Friedensgebet zusammen, seit 35 Jahren. Manchmal ist es nur eine Handvoll.

Von Giselher Quast

Aber wenn die Welt in Flammen steht, sind es auf einmal Hunderte, Tausende. So war es zur Zeit der Friedensbewegung »Schwerter zu Pflugscharen«, so war es in der friedlichen Revolution des Herbstes 1989, so während der Golf- und Balkankriege, so war es auch am 11. September 2001. Die wenigen Beter zwischen den Schreckensereignissen sind gleichsam die Platzhalter für das Gebet, für einen Ort, der da sein muss, wenn Menschen plötzlich das Gebet suchen.
Die Magdeburger wissen das. Sie wissen, dass das Kerzenkreuz vor dem berühmten Mahnmal des Krieges von Ernst Barlach im Dom auch sonst ihre Gebetsstelle werden kann: Großeltern kommen mit ihren Enkelkindern, um eine Kerze für den Frieden zu ent-
zünden; Liebende stellen für ihre Zukunft ein Herz aus Kerzen; Trauernde entzünden ein Licht für ihre Verstorbenen.
Friedensgebete sind kein Gebet im stillen Kämmerlein. Sie sind öffentliche Zeitansage, Herausforderung gegen Diktaturen und Gewaltvertreter, Protest gegen eine zu angepasste Kirche. Als solche waren die Friedensgebete im Dom vor der Wende die bestbespitzelte Veranstaltung durch die Staatssicherheit. Aber zuallererst waren sie Zufluchtsort der Menschen, denen Mitwirkung und Veränderungen der Verhältnisse versagt blieben. Ausgegrenzte und Entrechtete kamen zum Friedensgebet, jugendliche Punker und Kriegsgegner, Ökologie- und Menschenrechtsgruppen, Oppositionelle und Ausreiseantragsteller. Unter dem Druck der Verhältnisse und persönlichen Schicksale haben sie oft gesagt: »Das Friedensgebet ist ein Ort, an dem wir durchatmen können, singen, im Gebet alles sagen. Das ist eine Befreiung.«
Im Herbst 1989 sind die Friedensgebete in die Montagsgebete um gesellschaftliche Erneuerung übergegangen. Bis zu 8 000 Menschen waren im Dom, die meisten keine Christen: Und doch gingen sie nicht nur zur politischen Diskussion an die offenen Mikrofone, sondern auch im Gebetsteil. Sie stammelten und stotterten ihre Wünsche und Bitten in der Hoffnung, irgendeiner möge sie hören – weltliches Gebet sozusagen. Niemals waren geistliches und politisches Empfinden so nah zusammen wie in solchen Augenblicken. Über die drohende Staatsmacht, die in den Betern nur »Staatsfeinde« sah und in weit größerer Zahl den Dom umstand, schrieb der damalige Altbischof Werner Krusche: »Der Gebetsteil war von einer starken inneren Sammlung und Konzentration bestimmt. Wer diese gesammelte Stille, diese Intensität des Gebetes miterlebt hat, weiß, dass hier nicht gewissenlose Elemente zusammenwaren. Niemand kann diese Menschen mehr kriminalisieren, ohne sich selbst ins Unrecht zu setzen.«
Als der Golfkrieg auszubrechen drohte, hielten Jugendliche im bitterkalten Winter Tag und Nacht Mahnwachen auf der Hauptstraße vor dem Dom ab. Abends kamen sie zum Friedensgebet in den Dom, auch von ihnen waren die meisten keine Christen. Als der Krieg medial inszeniert vor aller Augen doch ausbrach, fragten die Jugendlichen: »Und was hat unser Gebet nun genützt?«
Verändert das Gebet die Welt? Nein! Es verändert uns. Nur wir können die Welt verändern. Gott tut es nicht für uns und ohne uns.
Braucht Gott unser Gebet? Nein! Wir brauchen es. Gott weiß unsere Bitten schon längst, ehe wir sie ausgesprochen haben. Friedensgebet heißt, die Augen und Herzen offen zu halten, nicht wegzusehen, sich nicht einlullen zu lassen von Medien, Parteien oder Politikern.
Wer um Frieden betet, will nicht nur seine Klagen und Bitten loswerden. Beten ist Sprechen mit Gott. Beim Friedensgebet will auch er zur Sprache kommen. Auf seine Antworten hören wir im Friedensgebet. Wir haben sie schon oft gehört: »die andere Backe auch hinhalten«, »die Feinde lieben und nicht nur zu den Brüdern freundlich sein«, »sich vertragen, solange man noch auf dem Weg ist« (Matthäus 5). Um Frieden beten wir, um uns diese Kraft zu holen. Tun aber wird ihn nicht Gott; tun müssen wir ihn selbst.

Der Autor war in Magdeburg Domprediger .

Autor:

Adrienne Uebbing

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