Verlieren will gelernt sein
DAS GRÖSSTE PROBLEM BIST DU

In unserer Familie wurde schon immer gern gespielt. Vater hatte eine regelmäßige Skatrunde mit Fritzchen Barnstein und dem Friseur Müller, dem Hitschen-Balbier. So genannt, weil er so klein war, dass er beim Frisieren auf eine Fußbank steigen musste. Sie tranken den ganzen Abend ein kleines Bier aus der Flasche, wobei Fritzchen es jedes Mal auf einen Zug austrank, weil er angeblich oder wirklich zu Abend Fisch gegessen hatte.  Die Eltern hatten zusammen eine Rommee'-Runde. Nach dem Musizieren der Mutter mit Fritzchen Barnstein, der die Querflöte sehr ordentlich blies, während Vater auf dem Sofa nebenan ein Nickerchen hielt, kam dann 21 Uhr noch Tante Agnes Hoffmann von der Zigarrenfabrik "Jünemann und Nachfolger" auf ein Stündchen hinzu, die immer was zu erzählen hatte. Hier wurde ein leichter, schwarzer Tee mit etwas Gebäck gereicht. In beiden Runden halfen wir gelegentlich aus, wenn wir anwesend waren und gebraucht wurden. Mit Skat, Doppelkopf, Rommee' und später Canasta  sind wir gewissermaßen aufgewachsen. Bei allen diesen Spielen gibt es Gewinner und Verlierer. Gewinnen kann jeder. Verlieren hingegen will gelernt sein. Deshalb beginnt man bei den Kleinen mit "Mensch, ärgere dich nicht!" Das gelingt mal so und mal so. Manchen gelingt es nie. 

In unserer Familie soll Max Steiger, unser Großvater, Bruder von sieben Schwestern, der gewesen sein, der
absolut nicht verlieren konnte. Dieses Gen hat sich vererbt und kommt in unterschiedlichen Stärken immer wieder durch. Susanne, unsere Erstgeborene , hat es. Und bei Klara Steiger, der Zweiten von den Zwillingen
unseres Sohnes Lorenz und seiner Frau Liane, ist es auch ausgeprägt da. War es ein Urlaub auf Bornholm? Wir spielten jedenfalls einen schönen Doppelkopf: Elke und ich, Susanne und Dubi, ihr Mann. Möglich, dass auch Christiane und Beate, unsere Letztgeborenen, mitgespielt haben. Zu einem Doppelkopf gehören auch Sprüche,
die alle von unserem Vater stammen: "Auf einem Auge war die Kuh blind!", wenn statt der Dulle, der roten Zehn, die rote Neun gespielt wurde, der eben ein Punkt, ein Auge, zur Dulle fehlt. Oder: "Sack gefroren!", wenn einem im Endkampf die Trümpfe ausgehen oder schwächlich werden. Oder: "Das Gesäß macht's, sprach Grabe!" Wer Grabe war, weiß keiner mehr. Aber richtig ist, dass die Verteilung der Karten sich in starker Weise auf den Verlauf des Spieles auswirkt. Elke, meine Frau, sagt: "Lass doch einfach die Sprüche weg!" Aber das gelingt mir eher selten.

Susanne hatte an jenem Abend kein ordentliches Spiel. Wie es auch kam, sie lag hinten. Und wenn sie mal ein ordentliches Blatt hatte, dann hatte der Mitspieler nichts, und das Spiel ging auch verloren. Ich habe es gern, wenn zügig gespielt wird. In diesem Fall zögerte Susanne mit der Blattzugabe länger als üblich, und ich sagte:
"Susanne hat Probleme!" Da sprang sie voller Zorn auf, schmiss das Blatt auf den Tisch und rief: "Das einzige
Problem, das wir alle haben, bist du!" und verließ unter Türkrachen den Raum. Junge, Junge! Oder hier besser: Mädchen, Mädchen! Der Abend war gelaufen. Zum Glück ist Susanne nicht nachtragend. Am nächsten Morgen nehme ich sie liebevoll in meine Arme. Ich liebe meine Große von ganzem Herzen! Aber vielleicht sollten wir nicht mehr zusammen spielen...

P.s.: Das Brettspiel "Mensch, ärgere dich nicht!" wurde übrigens 1907/08 von dem Bayern Josef Friedrich Schmidt (1871-1948) in München entwickelt. Nachdem es einige Jahr später in Serie gefertigt wurde, verkauf-te es sich allerdings so schlecht, dass Schmidt seine Restbestände an die Deutsche Wehrmacht verschenkte. Die Soldaten "im Felde" spielten es mit zunehmender Begeisterung, und von dort gelangte das Spiel in die Familien. Über 70 Millionen Exemplare sollen davon verkauft worden sein.

Autor:

Martin Steiger

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