SED-Unrecht und der Alltag von Christen in der DDR

Dialog: Thüringer Landesregierung lässt Betroffene zu Wort kommen – Aufarbeitung soll Legislatur überdauern

Von Sabine Kuschel

Sie wäre gern Ärztin geworden, wegen ihres christlichen Glaubens jedoch sei ihr in der DDR das Medizinstudium verwehrt geblieben. Regine Hoster wählte einen mittleren medizinischen Beruf. Sie gehört zu den in der DDR verfolgten Schülern und wünsche sich eine finanzielle Ausgleichszahlung für die Nachteile. Wäre sie Ärztin geworden, hätte sie mehr verdient und ihre Rente würde höher ausfallen, gibt sie zu bedenken.

Zeugen Jehovas berichten über Benachteiligung
Andreas Holland-Cunz und Uwe Klettbach, beide Zeugen Jehovas, hatten in der DDR die Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung verweigert. Als Holland-Cunz 1977 die Zehnklassenschule beendet hatte, begann er eine Ausbildung in Elektrotechnik. Einen Lehrvertrag konnte er in der DDR nicht abschließen, aber für ihn sei die Wende noch rechtzeitig gekommen. Deshalb erhebe er keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen, er zähle sich auch nicht zu den verfolgten Schülern, denn er habe einen Berufsabschluss erwerben können. Nicht so sein Cousin Uwe Klettbach. Er habe keinen Lehrvertrag abschließen können, sei immer Hilfsarbeiter gewesen. Er sei als verfolgter Schüler eingestuft worden, habe Zahlungen erhalten, die allerdings wieder eingestellt wurden. Diese stünden seinem Cousin auf Grund des erlittenen Unrechts und der Benachteiligung zu, argumentierte Holland-Cunz.
Drei Schicksale, beispielhaft für Menschen, denen in der DDR wegen ihrer religiösen Überzeugung Unrecht getan wurde. Zum dritten Mal hatte die Thüringer Landesregierung zur Themenreihe »Was auf der Seele brennt – SED-Unrecht im Dialog« eingeladen. Bei dem Gespräch im Collegium Maius in Erfurt ging es um die alltägliche Benachteiligung und Diskriminierung von Christen im DDR-Unrechtsstaat sowie ihre gesellschaftliche Wirkungsgeschichte und die Auswirkungen bis heute.
Ist es fast drei Jahrzehnte nach der Wende noch immer notwendig, sich mit diesem Thema zu befassen? Kirchenhistoriker Professor Peter Maser bejahte diese Frage. Obwohl sich nach 1990 eine Flut von Forschungen intensiv mit den Kirchen beschäftigt hätte, sei ein Bereich ausgeblendet worden: der Alltag von Christen in der DDR. »Das ist das eigentlich Interessante.«

Aufarbeitung in Zeitabschnitten empfohlen
Sich diesem Bereich zuzuwenden, erachte er als notwendig, so Maser. Die Zeitabschnitte müssten dabei gesondert betrachtet werden, denn die Situation vor und nach 1983 sei unterschiedlich zu beurteilen.
In der Säkularisation im Osten Deutschlands sieht der Kirchenhistoriker »den vielleicht langfristigsten Erfolg« der DDR-Machthaber. Dass die Kirchen entchristianisiertes Terrain vorfänden, dieser Tatsache würden sie sich seiner Ansicht nach nicht stellen.
»Wir haben uns viele Gedanken um den Traditionsabbruch gemacht«, entgegnete Oberkirchenrat Christhart Wagner, Beauftragter der Evangelischen Kirchen im Freistaat Thüringen. Als Beispiel nannte er die evangelischen Schulen, die nach der Wende gegründet wurden. Diese Schulen sollten Brücken bauen in die konfessionslose Gesellschaft. Aber: sie reichten nicht aus, um den Traditionsabbruch zu überbrücken.
Benachteiligung und Diskriminierung von Christen im DDR-Unrechtsstaat – wie stellt sich die Nachfolgepartei der SED, die Linke, zu diesem Thema? Im Gegensatz zum Thüringer Ministerpräsidenten ist der Rest seiner Partei bei diesem Thema zurückhaltend. Das eigentliche Problem sei das Desinteresse an Religion, so Gabi Ohler (Linke), Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport.
Die Landesregierung wolle sich der Aufarbeitung stellen, so stehe es auch im Koalitionsvertrag. Aber es würde noch zu wenig darüber gesprochen, ergänzte Babette Winter (SPD), Staatssekretärin für Kultur und Europa in der Thüringer Staatskanzlei. Darüber hi­naus sei es wichtig, dass für das Thema Aufarbeitung etwas geleistet wird, das über die Legislatur hinausreiche.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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