Wissen und Glauben gehören zusammen

Physiker und Astronom Gerhard Ackermann | Foto: Tilman Asmus Fischer

Gerhard Ackermann, der Physiker und Astronom, ehemals Professor an der Berliner Beuth-Hochschule, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und
Theologie. Darüber sprach er mit Tilman Asmus Fischer.

Herr Ackermann, Naturwissenschaft und Glaube werden oft als Gegensatz verstanden. Vor welchen Fragen stehen beide jedoch gemeinsam?
Ackermann:
Es gibt eine Frage, die bis heute nicht ausdiskutiert ist. Die Theologen nennen es Theodizee. Und von den Naturwissenschaften her würde ich sagen, dazu passt am besten das sogenannte Anthropische Prinzip in seiner starken Form. Dieses sagt aus, dass alle Naturkonstanten so beschaffen sind, dass es irgendwann im Rahmen der Evolution zu denkfähigen Geschöpfen wie dem Menschen kommen musste. Dieses Prinzip so zu formulieren, heißt: Da muss jemand sein. Den Naturwissenschaftlern ist dabei sicher unwohl. Wenn man das sagt, tritt man aus den Naturwissenschaften heraus. Das Anthropische Prinzip ist gewissermaßen die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Keiner von uns weiß, warum die Naturkonstanten anders sein sollten, aber auch keiner weiß, warum sie so sind, wie sie sind. Wir stoßen da an eine Wand, die man offenbar nicht durchstoßen kann.

Verbirgt sich Gott hinter dieser Wand?
Ackermann:
Nein. Er verbirgt sich nicht hinter dieser Wand, er ist das alles – ist nicht irgendwo, sondern mittendrin. Und er hat viel mehr geschaffen, als wir uns überhaupt vorstellen können.

Was machen naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit dem persönlichen Glauben der Menschen?
Ackermann:
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind eine Möglichkeit, die Inhalte des eigenen Glaubens zu testen. Und wenn ich mich etwa über das Alte Testament oder das apostolische Glaubensbekenntnis kritisch äußere, hat das damit zu tun, dass deren Weltbild gar nicht zu diesen Erkenntnissen passen will. Wir sind daher auf der Suche nach einer Erneuerung der theologischen Aussagen.
Das naturwissenschaftliche Weltbild ist das, was existiert – die Welt, in der wir sind. Und das muss doch mit dem Wichtigsten, was wir haben, nämlich unserem Glauben und unseren heiligen Schriften, in Einklang sein. Wenn wir aber in etwa 500 Jahren Reformation nicht dazu gekommen sind, in diese Richtung Fortschritte zu machen, dann ist das ein großer Fehler.

Welche Rolle käme bei einer »Erneuerung der theologischen Aussagen« der Naturwissenschaft zu?
Ackermann:
Der Naturwissenschaftler könnte ein Korrektiv für allzu märchenhafte Aussagen sein, die von anderen historisch orientierten Fakultäten zu­sammengetragen werden. Das ist nicht abwertend gemeint, aber es ist einfach so, dass die Naturwissenschaften rechnen, bestimmen, messen und sagen: »So ist es« oder »So ist es nicht«. Man nehme nur den oft behaupteten Gegensatz von Darwinscher Theorie und Schöpfungsbericht: Als ob Gott etwas anderes wäre als die Darwinsche Theorie! Gottes Weg, die Menschen zu schaffen, war eben ein bisschen anders als es in der Bibel steht. Er hat diesen Weg gewählt, der uns bis heute aus Einzellern vor siebenhundert Milliarden Jahren entwickelt hat. Wer kann denn ein solches Konzept sonst entwickeln? Wenn ich an Gott glaube, dann muss ich auch annehmen, dass das alles seine Idee war.

Kommen die Naturwissenschaften als Korrektiv der Theologie ihrerseits ohne eigene vorausgesetzte »Glaubenssätze« aus?
Ackermann:
Naturwissenschaften sind nicht voraussetzungslos, sondern arbeiten alle mit bestimmten Annahmen. Es ist ja auch so, dass die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt, dass sich diese Annahmen immer wieder gewandelt haben, da bisher für wahr Gehaltenes aufgegeben werden musste. So ging die Elektrotechnik des 19. Jahrhunderts noch vom Äther als einer Substanz aus, in der sich elektromagnetische Wellen fortsetzen können – etwa das Licht von Sternen. Man konnte sich nicht vorstellen, dass sich Wellen ohne ein Medium, das sie bewegen, fortpflanzen können.
Das war ein Glaubenssatz der Physiker – und solche Glaubenssätze, davon bin ich überzeugt, gibt es auch heute noch in der Physik. Diese beziehen sich vor allem auf den Urknall und die Frage dunkler Materie und Energie. Daher sollte man als Naturwissenschaftler auch die nötige Bescheidenheit haben, zu sagen: »Ich weiß, es könnte auch anders sein, weil ich eine bestimmte Größe noch gar nicht richtig fassen kann.«

Ist dies eine Einsicht, die eine spezifisch naturwissenschaftliche Religiosität eröffnet?
Ackermann:
Es ist schwierig, das so allgemein zu sagen. Als Naturwissenschaftler weiß ich um die Grenzen der Erkenntnis. Aber ich setze Gott nicht hinter diese Grenze, sondern ich sage: Das, was ich erkenne, das sind eigentlich nur die Wunder, die es wirklich gibt. Wenn ich einen Löwenzahn auf der Wiese blühen sehe, ist er strahlend gelb. Ich weiß, dass Gelb im Spektrum eigentlich die schwächste Farbe ist. Aber indem der Löwenzahn Grün und Rot zu einem glänzenden Gelb-Weiß mischt, kann er so strahlen. Und wenn ich so etwas entdeckt habe, dann ist das für mich ein Wunder und bleibt ein Wunder, eben auch, wenn ich es erklären kann.

Naturwissenschaftliche Erklärungen machen das Wunder nicht kleiner?
Ackermann:
Die Vorstellung, dass Wunder immer so sein müssen, dass man sie nicht erklären kann, geht an der Wirklichkeit des Glaubens genauso vorbei wie an derjenigen des Wissens. Wissen und Glauben gehören zusammen und stehen in einer Wechselwirkung. Vielleicht sind die Naturwissenschaftler manchmal die Gläubigsten, wenn sie hinter etwas her sind und es im Labor oder am Himmel, wo auch immer, unbedingt finden wollen. Sie haben eine Idee, wie das sein kann, und plötzlich finden sie es. Das sind Momente, um derentwillen man eigentlich Naturwissenschaften studiert. Davon gibt es vielleicht drei oder vier im Leben. Das ist einfach wunderbar. Der Rest ist harte Arbeit. Am Ende kann man jedes Wunder erklären. Das tut dem Wunder keinen Abbruch, höchstens unserer Vorstellung von Wundern. Die biblischen Wunder hatten seinerzeit eine Funktion, die sie heute nicht mehr haben. Entscheidend ist heute vielmehr, was Jesus verkündet und gelehrt hat.

Gilt dies auch für Tod und Auferstehung Jesu? Fällt mit diesem unerklärlichen Ereignis nicht auch die Zusage eines Lebens nach dem Tod?
Ackermann:
Der Tod ist für mich naturwissenschaftlich eine Singularität. Singularität ist ein Zustand, bei dem die Vorgeschichte und die Geschichte, die danach kommt, nicht miteinander zusammenhängen. Viele Dinge des Endes kann man schon physikalisch erklären. Manche Naturwissenschaftler setzen hinter den Tod einen Punkt. Das war das Leben. Das war alles. Mich bringt diese Situation zur Singularität. Und ich bin überzeugt, es geht danach in mir unbekannter Form weiter. Das kann ich niemandem erklären. Zu dieser Einsicht muss jeder selber kommen. Da kann man nur hoffen – und ich hoffe schon.

Ist das der entscheidende Punkt, wo wir – jenseits des bleibenden Wertes der biblischen Ethik – auf eine uns gegebene Zusage vertrauen müssen?
Ackermann:
Das ist tatsächlich ein Punkt, an dem man vertrauen muss. Ich vertraue darauf, denn was sollte das alles im Hier und Jetzt sonst? Das ist freilich teleologisch, aber kann man sich wirklich vorstellen, dass der Tod das Ende ist? Vorstellen kann man es sich eigentlich nicht. Man könnte es nur wissen. Aber das Wissen hört an dieser Stelle auf – das ist das Dramatische. Das ist eine Nagelprobe, die man naturwissenschaftlich nicht bestehen kann.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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