Sie schwingen und klingen

Jede Glocke hat ihre eigene Aufgabe. | Foto: Gina Sanders – fotolia.com

Kirchenglocken: Zu hören sind sie mindestens jeden Sonntag, meist auch öfter in der Woche. Warum Glocken­geläut Musik ist und warum welche Glocken wann läuten.

Von M. Ernst Wahl

Glocken sind das öffentlich wahrnehmbare Signum christlicher Kirchen. Die weithin zu hörenden Musikinstrumente kennzeichneten die Kirchen, lange bevor es Orgeln gab. Doch Glocken sind bedroht. Weniger sind es Wind und Wetter, die den bronzenen Kunstwerken zusetzen. Schließlich haben viele, die heute in den Kirchtürmen hängen, nicht nur Gewitter und Stürme, sondern selbst Kriege und Plünderungen überstanden. Was den Glocken zusetzt, sind Unverständnis und Ignoranz. Nicht jedes Mitglied einer Kirche würde vermutlich dem Satz zustimmen: Glocken sind Musikinstrumente.
In der Tat: Glocken können unter bestimmten Umständen auch dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dessen Umsetzung der »Technischen Anleitung zum Schutz vor Lärm« unterliegen. Heute ist indes höchstrichterlich geklärt, dass Glocken nur dann dieser Verwaltungsvorschrift entsprechend verstanden werden, wenn sie die Zeit anzeigen – der Stundenschlag also gilt verwaltungstechnisch als »Lärm«. Dabei ist der Klang eines jeden Geläuts musikalisch bestimmt.
Das kirchlich-liturgische Geläut unterliegt einer anderen Regel. In jeder Kirchengemeinde sollte es entsprechend der örtlichen Traditionen Läuteordnungen geben.
Jede Glocke, gleich wie viele im Turm hängen, hat ihre eigene Aufgabe: gibt es zwei Glocken im Turm, so ist die größere die »Betglocke«, die kleinere wird als »Kreuzglocke, Tauf- und Schiedglocke« geläutet. Stehen drei Glocken zur Verfügung, so wird die mittlere zur Kreuz- und Schiedglocke. Am häufigsten anzutreffen sind vierteilige Geläute. Sie bestehen aus der größten Glocke, die meist als Betglocke geläutet wird, die nächstkleinere wird zur Kreuz- und Schiedglocke, die dritte zur Zeichenglocke und die kleinste zur Taufglocke.
Die Betglocke wird üblicherweise am Morgen und am Abend geläutet. Außerdem erklingt sie zur Mittagszeit. Die Morgenglocke will zum Morgengebet wecken und täglich an die Auferstehung Christi erinnern. Die Mittagsglocke ruft – anders als vielerorts angenommen wird – nicht zum Mittagessen oder zur Mittagspause, sondern zum Gebet für den Frieden. Das Abendgeläut erklingt zur dritten Gebetszeit des Tages, zum Dank für den Tag und zum Bedenken des Endes. Die Betglocke bekommt auch im sonntäglichen Gottesdienst eine Aufgabe: Sie läutet, während die versammelte Gemeinde das Vaterunser spricht, und lädt damit all jene ein, das Gebet mitzusprechen, die nicht am Gottesdienst teilnehmen können.
Dort, wo es Kreuzglocken gibt, werden diese um 11 Uhr am Vormittag und um 15 Uhr geläutet, mancherorts bereits um 9 Uhr. Zu diesen Zeiten wird an Leiden und Sterben Jesu Christi erinnert: 9 Uhr gilt als die Stunde der Kreuzigung, 11 Uhr als die Stunde der hereinbrechenden Finsternis, von der die Evangelisten Matthäus (Kapitel 27), Markus (Kapitel 15) und Lukas (Kapitel 23) berichten. 15 Uhr gilt demnach als die Todesstunde Jesu. Deshalb wird diese Läutezeit auch »Schiedungsläuten« genannt.
Die Zeichenglocke erinnert eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn an den Kirchgang.
»Denn mit der Freude Feierklange / Begrüßt sie das geliebte Kind / Auf seines Lebens erstem Gange, / Den es in Schlafes Arm beginnt«, so beschreibt Friedrich Schiller in seinem »Lied von der Glocke« die Aufgabe der kleinsten Glocke. In der Regel wird sie als Taufglocke genutzt. Die Taufglocke erklingt, während im Gottesdienst ein Mensch getauft wird. Wenn es aber bei Schiller heißt: »Schwer und bang / Tönt die Glocke / Grabgesang. / Ernst begleiten ihre Trauerschläge / Einen Wandrer auf dem letzten Wege«, dann ist es die Schiedglocke, die eingesetzt wird. Sie läutet, wenn ein Mitglied der örtlichen Kirchengemeinde verstorben ist. Je nach örtlichem Brauch wird sie am Folgetag um die Mittagszeit oder am Vormittag geläutet. Dieser Glockenruf erinnert an den oder die Verstorbenen und mahnt wie Psalm 90 (Vers 12) an den eigenen Tod.
»Quillt der Segen / Strömt der Regen, / Aus der Wolke, ohne Wahl, / Zuckt der Strahl! / Hört ihr’s wimmern hoch vom Turm! / Das ist Sturm! / Roth wie Blut / Ist der Himmel. / Das ist nicht des Tages Glut!« Zur Warnung vor Unwetter und bei Feuer geläutet wurde noch zu Zeiten Schillers und lange danach. Diese Funktion haben Kirchenglocken heute nicht mehr.
Läuten zum Gottesdienst ist die zentrale Aufgabe der Glocken. Doch auch da gibt es Unterschiede. So wird mancherorts nur einmal, andernorts zweimal mit einer Glocke geläutet, und zwar eine und dann nochmals eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn drei bis fünf Minuten lang. Das volle Geläut erklingt zu den Hauptgottesdiensten am Sonntag und an den hohen Feiertagen. Dabei gibt es immer wieder Diskussionen darüber, wann das volle Geläut ertönen soll. »Vorläuten« heißt es, wenn die Glocken etwa zehn Minuten vor dem Gottesdienstbeginn klingen.
Beim festlichen Geläut zu Gottesdiensten soll, damit die volle Wirkung zu hören ist, mit der kleinsten Glocke begonnen werden. Dann werden in Abständen von etwa zehn Sekunden die weiteren Glocken von klein nach groß eingeschaltet. In der gleicher Reihenfolge wird das Geläut beendet, sodass die jeweils größte Glocke, häufig als Dominika, die Beherrschende, bezeichnet, als letzte ausklingt.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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