Sie gehört zur Persönlichkeit, unverwechselbar wie der Fingerabdruck

Schön, einen handgeschriebenen Brief zu lesen. | Foto: Andreas Gruhl – Fotolia.com
  • Schön, einen handgeschriebenen Brief zu lesen.
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Handschrift: Mit der Hand zu schreiben, fördert das logische Denken, doch leider sind im digitalen Zeitalter handgeschriebene Botschaften selten

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Von Christoph Kuhn

Neulich unterhielten wir uns in einer größeren Runde darüber, wie viele Menschen wir zweifelsfrei an ihrer Handschrift erkennen könnten – und zwar bei Briefen schon an den wenigen Wörtern auf dem Kuvert. Die älteren nannten eine wesentlich höhere Zahl als die jüngeren, die eben auch weniger Briefe bekommen und überhaupt weniger mit der Hand schreiben.
Auch ich schreibe immer seltener Briefe und auch seltener mit der Hand. Aber als ich noch sehr oft handschriftlich korrespondierte, erkannte ich mindestens 15 bis 20 Personen an ihrer Schrift ohne den Absender lesen zu müssen. Besonders die Absenderin M., deren oft farbige Schriftzüge meines Namens den Briefumschlag bedeckten. Da konnte sich schon der Postbote seinen Teil denken, und meine Eltern bedurften keiner weiteren Auskunft über M.s Verhältnis zu mir.
Ein befreundeter Architekt, der viel schreibt, sagte: »Handschrift ist, bzw. war, ein wichtiges Indiz für den Charakter eines Menschen, nicht zuletzt bei der Partnerwahl. Ob einem die Handschrift gefällt, ist wichtig.« Um das herauszufinden reichen natürlich wenige Wörter auf einem Kuvert nicht aus; es sollte schon eine ganze Seite betrachtet werden: Ist die Schrift nach links oder nach rechts geneigt? Sind die Zeilen gerade, fallen sie nach rechts ab oder steigen sie an? Sind die Buchstaben schlicht oder verschnörkelt ausgeführt – ist die Schrift »ausgeschrieben«, gut oder schlecht lesbar?
Eine schöne Schrift muss allerdings nicht von einem schönen oder guten Menschen stammen. Ganz sicher kann jemand eine Sauklaue haben und trotzdem einen tadellosen Charakter.
»Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise vergegenwärtigt«, schrieb Goethe 1812.
Setzen sich Schriftsteller von Berufs wegen besonders für das Kulturgut Handschrift ein oder haben sie, wie Menschen anderer Berufe auch, ein unterschiedliches Verhältnis zum Schreiben mit der Hand? Manche erstellen die Schrift vorwiegend per Tastatur. Andere bevorzugen den sinnlichen Akt des Schreibens ohne dazwischen geschaltete Technik. Sie denken handschreibend anders als maschineschreibend und formulieren auch anders.
Hirnregionen, die auch fürs Lesen verantwortlich sind, sind beim Schreiben mit der Hand aktiver als beim Tippen. Tests ergaben, dass Studenten den Vorlesungsstoff besser lernten, wenn sie sich Notizen auf Papier machten, statt am Laptop. Sie konnten auch Informationen besser interpretieren, wenn sie sie vom Papier statt vom Bildschirm ablasen. Weitere Studien legen nahe, dass sich das Erlernen der Handschrift positiv auf die Lese- und Abstraktionsfähigkeit auswirkt. Mit der Hand zu schreiben fördert zudem die Feinmotorik und das logische Denken.
Trotzdem wird in den Grundschulen einiger Länder das Erlernen der Schreibschrift abgeschafft.
Das »digitale Klassenzimmer« ist keine gute Idee, denn neben dem Lesen ist das Schreiben eine elementare Kulturtechnik (obwohl das Wort Technik hier missverständlich ist – der »technische« Vorgang beschränkt sich auf den Umgang mit Papier und Stift).
Die Handschrift gehört zur Persönlichkeit, fast so unverwechselbar wie der Fingerabdruck, die Irisstruktur oder das Genom. Bevor die Handschrift aber einen charakteristischen, individuellen Ausdruck bekommt, muss sie geübt werden. »Im Gegensatz zur Flüchtigkeit der Stimme hält die Handschrift persönlichen Ausdruck fest. Die damit verbundene Authentizität ist der Grund, weshalb Unterschriften als offizieller Ausweis der Identität gelten und weshalb eine handgeschriebene Botschaft in Zeiten digitaler Medien zu einem besonderen Zeugnis von Aufmerksamkeit werden kann«. (Ausstellungstext im Deutschen Hygienemuseum Dresden)
Was meine Freundin M. zeigte, war mehr als Handschrift, es war schon Kalligraphie, Schönschreibekunst und Philographie, die Liebe zur Schreibkunst, zum Geist des Schreibens, zu einer schönen Ausdruckskraft des Menschen.

Autor:

Online-Redaktion

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