Gottes Palast jenseits von Raum und Zeit

Sonnenuntergang: Ruhige Orte, ereignislose Momente helfen uns, nichts als den gegewärtigen Augenblick wahrzunehmen. | Foto: Ivan – fotolia.com
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Innehalten: Warum wir die Sonntagsruhe des Gebets neu entdecken können

Von Marion Küstenmacher

Du brauchst einen Ort oder eine bestimmte Stunde, wenn nicht sogar einen Tag, an dem du nicht weißt, was am Morgen in der Zeitung stand, wo deine Freunde sind, was du irgendjemand schuldig bist oder was irgendjemand dir schuldig ist. Am Anfang mag es scheinen, als geschähe dort nichts. Aber wenn du einen heiligen Ort hast und von ihm regelmäßig Gebrauch machst, dann wird zur rechten Zeit das Richtige geschehen.«
Diese Gedanken stammen von Joseph Campbell, einem berühmten Mythenforscher. Er hatte jahrzehntelang die Weisheitstraditionen vieler Völker studiert und war zum Schluss gekommen, dass alle diese Kulturen Formen der Ruhe entwickelt hatten: Heilige Orte, Zeiten und Tage der Ruhe. In unserer Tradition sind es der jüdische Sabbat am Sonnabend und der christliche Sonntag. Auch für Nichtgläubige sind diese beiden Tage heute die mit Abstand beliebtesten Wochentage. Sie sind arbeitsfrei, aber meistens keine Ruhetage mehr, sondern mit Aktivitäten ausgefüllt. Die alten Völker dagegen wussten, dass Zeiten der Ruhe und Stille die beste Möglichkeit sind, um Zugang zum eigenen Seelenleben und zu Gott zu finden. Auch Jesus empfahl das seinen Aposteln, als sie in einem Meeting mit ihm zusammensaßen und ihm von ihren vielen Aktivitäten, »von allem, was sie getan und gelehrt hatten« berichteten. »Sie kamen und gingen und hatten nicht einmal Zeit genug zum Essen«, so beschäftigt waren sie. Jesu wunderbarer Rat an sie lautete: »Geht allein an einen einsamen Ort und ruht euch ein wenig aus.« (Markus 6,30–31)
Das ist der perfekte Sonntagstipp, um Körper, Geist und Seele zu regenerieren. Wir könnten Sabbat und Sonntag wieder als leere Räume der Ruhe und Stille entdecken, in denen nichts passiert, damit »zur rechten Zeit das Richtige geschehen kann.« Wir wissen, dass Jesus selbst sich regelmäßig allein »an einen einsamen Platz« zurückzog, um zu beten (Markus 1,35).
Er balancierte die Pole Kontemplation und Aktion aus. Das ist heute wichtiger denn je. Leere, reizarme Räume und Ruhezeiten entlasten unseren Geist, der heutzutage ständig gefordert wird und permanent hochtourig fahren muss.
Neurowissenschaftler haben längst nachgewiesen, dass es die langsamen Delta-Gehirnwellen sind, bei denen sich unser Gehirn erholt und alle körperlichen und seelischen Regenerationsprozesse stattfinden. Diese Deltawellen erleben wir nur im Tiefschlaf –
und im kontemplativen Gebet. Wer sich in das Gebet der Herzensruhe versenkt, gelangt nach und nach an den inneren stillen Punkt im Bewusstsein, der der Sabbatruhe Gottes am siebten Schöpfungstag entspricht. Hier wird »die Seele still zu Gott« (Psalm 62,2). Das Bewusstsein lässt alle Bitten, Wünsche und Gedanken los und taucht in die Ruhe des Göttlichen ein. Das ist die Sonntagsruhe des Gebets. Hier werden wir frei von unserer üblichen Bindung an Raum und Zeit, die uns beherrscht. Der integrale Philosoph Jean Gebser nannte das die Raum- und Zeitfreiheit oder das Feld des absoluten Geistes. Jesus nannte es »das Reich Gottes«.
52 Sonntage im Jahr erinnern uns daran, aus der Stille heraus immer wieder den Palast Gottes jenseits von Raum und Zeit zu suchen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, wo dieser äußere Startpunkt liegt. Er muss vor allem für einen selbst passen. Der Theologe und Philosoph Ralph Waldo Emerson empfahl darum: »Denk für dich selbst –
und alle Orte sind freundlich und heilig«. Freundlich, heilig, das kann eine ruhige Ecke in der Wohnung sein, die stille Kirche oder eine leere Parkbank, die auf uns wartet. Ruhige Orte und ereignislose Momente helfen uns, nichts als den gegenwärtigen Augenblick wahrzunehmen. Christen sprechen vom »Sakrament des Augenblicks«, denn in Gottes Gegenwart eintauchen können wir nur, wenn wir ganz gegenwärtig sind. Es genügt also, dem gegenwärtigen Augenblick in der Stille die Treue zu halten. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt hinüber zu Gottes Palast jenseits von Raum und Zeit – in das Reich Gottes, das, wie uns Jesus versichert, mitten in und unter uns ist.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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