»Entarteter« Antisemit

Zum 150. Geburtstag von Emil Nolde

Von Christian Feldmann

Keiner hat so unheimlich leuchtende Meeresstrände unter dräuendem Sturmhimmel gemalt, keiner die einsame Marschlandschaft so suggestiv wiedergegeben. Seine religiösen Bilder atmen Emotion und zugleich respektvolle Distanz. Emil Nolde gilt als der faszinierendste Farbenzauberer unter den deutschen Expressionisten. Doch gleichzeitig inszenierte er sich aus dumpfen rassistischen Wahnideen und kleinlicher Eifersucht gegen erfolgreiche Kollegen als fanatischer Antisemit.
Eigentlich hieß er Hans Emil Hansen, der am 7. August 1867 im dänischen (damals deutschen) Örtchen Nolde bei Buhrkall geborene Bauernsohn. Im Grenzland wuchs er auf, machte eine Lehre als Schnitzer und Möbelzeichner in Flensburg, arbeitete in Möbelwerkstätten in München, Karlsruhe, Berlin, bildete sich in Abendkursen an einer Kunstgewerbeschule weiter. In Berlin und im schweizerischen Sankt Gallen unterrichtete er als Lehrer für ornamentales Zeichnen und Modellieren, begann Aquarelle zu malen, Berglandschaften zu zeichnen.
Bodenständig, neugierig, lerneifrig, freiheitshungrig ist er gewesen. Die Münchner Akademie wollte ihn nicht haben. Der Einundzwanzigjährige ließ sich nicht entmutigen, besuchte private Malschulen in München und Dessau sowie die Académie Julian in Paris, ließ sich in Berlin nieder, trat der dortigen zukunftsträchtigen »Secession« bei, heiratete eine Schauspielerin, schloss sich 1906 nach einer erfolgreichen Dresdner Ausstellung der »Brücke« an. Jetzt wurden seine Farben immer expressiver, sein Malstil flächiger, konzentrierter, ausgesprochen formbetont. Erste Bilder mit religiösen Sujets entstanden: Abendmahl. Pfingsten. Verspottung. Was zu Konflikten führte: Noldes neunteilige Bilderfolge »Das Leben Christi« wurde auf der Brüsseler »Ausstellung für religiöse Kunst« nach kirchlichen Protesten zurückgewiesen.
»Biblische und Legendenbilder« nannte Nolde fünf Dutzend religiöse Bilder, in denen er den Höhepunkt seines Schaffens sah. Ihm selbst war seine »Grablegung« (1915) besonders wichtig. Beherrschend ein helles Silberblau im Kontrast zu einem morbiden Gelb. »Bizarr, fragwürdig, uneinheitlich« nannten empörte Zeitgenossen Noldes Umgang mit Bibel und Glaubenstradition, »das Produkt eines Schwerkranken«.
Der ins nordfriesische Seebüll gezogene und in die Preußische Akademie der Künste aufgenommene Maler ließ keine Gelegenheit aus, sich zur braunen Heilslehre zu bekennen und Hitler als »genialen Tatenmenschen« zu preisen.
Obwohl der »Führer« und einstige Amateurmaler im Jahre 1937
exakt 1 052 Werke Noldes aus den Museen verbannte, in der Ausstellung »Entartete Kunst« seine religiösen Gemälde der Lächerlichkeit preisgab und ein Malverbot erteilte: In seiner glühenden Begeisterung für die »große deutsche national­sozialistische Sache« wurde er niemals wankend.
Nach dem Krieg schrieb er seine Autobiografie um, stilisierte sich zum verfolgten Opfer der Naziherrschaft und hatte damit Erfolg: 1952 durfte er seine Berufung in die Friedensklasse des Ordens »Pour le Mérite« erleben. Vier Jahre später starb er achtundachtzigjährig in Seebüll.

Autor:

Adrienne Uebbing

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