Eine blaue Tonne gegen Hunger

Eine Bäuerin holt in einem Büro des Welternährungsprogramms im Iganga-Distrikt in Uganda eine Plastiktonne ab, in der sie ihre Ernte lagern kann. Früher verdarben viele Lebensmittel nach der Ernte. | Foto: WFP/Lydia Wamala
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  • Eine Bäuerin holt in einem Büro des Welternährungsprogramms im Iganga-Distrikt in Uganda eine Plastiktonne ab, in der sie ihre Ernte lagern kann. Früher verdarben viele Lebensmittel nach der Ernte.
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Einfach, aber genial und äußerst wirksam: Ein Büro der Vereinten Nationen in München versucht, kreative Ideen für den Kampf gegen Mangelernährung umzusetzen

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Von Marc Engelhardt

Manchmal kommt Innovation ganz unscheinbar daher: Blau, aus Plastik, eine Art Regentonne mit luftdichtem Deckel. »Jedes Jahr hatte ich aufs Neue Angst, dass wir hungern müssen«, erklärt die Uganderin Hasifah Bogere in einem Video. »Aber in diesem Silo können wir die Ernte sicher lagern, und das Essen reicht fürs ganze Jahr.« Früher verdarb manchmal die Hälfte der Lebensmittel nach der Ernte. Dass der siebenfachen Mutter und 80 000 weiteren Ugandern nun fast nichts mehr verloren geht, verdanken sie auch einem Büro in einem Münchner Hinterhof. Dort sitzt die Denkfabrik des Welternährungsprogramms (WFP).
»Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel für unsere Arbeitsweise«, freut sich Bernhard Kowatsch über die blaue Tonne. Er ist Chef des »Innovation Accelerator« (Innovationsbeschleunigers) in München, der neue Ideen im Kampf gegen den Hunger schneller zum Einsatz bringen soll. Hunger ist ein drängendes globales Problem.
Die zündende Idee ist entscheidend. »Über Jahrzehnte haben wir versucht, solche Silos zu verschenken«, erklärt Kowatsch. Doch der Erfolg war mäßig, bis WFP-Mitarbeiter die Idee hatten, aus dem Geschenk ein Produkt zu machen. »Wir stellen diese Silos jetzt lokal her und lassen sie verkaufen, von privaten Unternehmern.«
Das Konzept funktionierte, die Verkäufe gingen durch die Decke. Zeitgleich richtete das WFP seine Schulungen auf das Silo aus, das Kleinbauern auch die Freiheit gibt, ihre Ernte dann zu verkaufen, wenn die Preise hoch sind. »Das Haushaltseinkommen verdoppelt oder verdreifacht sich, der Kauf des Silos rentiert sich nach einer Ernte«, sagt Kowatsch.
Einfach, aber genial und mit großer Durchschlagskraft: Das sind die Ideen, die in München beschleunigt werden sollen. Im Dachgeschoss arbeiten an langen Tischen erfahrene Entwicklungshelfer und Start-up-Gründer zusammen. Mit Sofa-Ecken, einer beschreibbaren Wand und viel Sonnenlicht erinnert das Büro selbst mehr an ein Start-up, als an eine Außenstelle der Vereinten Nationen. Das Gleiche gilt für die Arbeitsweise. Kowatsch: »Jeder kann uns über die Website Ideen vorschlagen, wenn wir ein Potenzial sehen, laden wir die Leute von überall her hierhin ein.«
Eine Woche Intensivworkshop reicht, um eine Idee abzuklopfen. Wenn danach noch alle an das Projekt glauben, stellt der Accelerator bis zu 100 000 Euro für die Startphase bereit. Wichtig: Das Modell muss skalierbar sein, also ein Wachstumspotenzial haben, um mindestens 100 000 Menschen nachhaltig vom Hunger befreien zu können.
Viele Ideen werden aus Einblicken geboren, die nur wenige Menschen haben: Der WFP-Buchhalter etwa, der sich über die hohen Bankgebühren bei elektronischen Lebensmittelkarten ärgerte. Inzwischen kaufen 10 000 syrische Flüchtlinge in Jordanien ihre Lebensmittel mit Karten, die über die gebührenfreie Blockchain-Technologie abgerechnet werden. Bald sollen es 100 000 sein, finanziert aus den eingesparten Gebühren.
Oder der Flüchtling in einem Camp im Süden Algeriens, der in der Sahara nach Tierfutter für die Herden der geflohenen Sahauri-Bevölkerung suchte. »Jetzt bauen wir mit Hydrokulturen, die ohne Erde auskommen, Gerstengras an, in einer vertikalen Struktur auf sieben Ebenen«, strahlt Nina Schröder, die in ihrem früheren Start-up Tea-to-go in der Berliner Szene entwickelt hat.
Das Tierfutter wurde zum Erfolg: Außer den Hydrokulturfarmen, die die Flüchtlinge in der Wüste bauten, hilft jetzt auch das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston bei der Optimierung der Anbaumethoden.
Gut 30 Produkte wurden in der Denkfabrik in München in zwei Jahren aus der Taufe gehoben, ermöglicht mit Zuschüssen von Bund und Bayern. Wenn ein Konzept Erfolg hat, wird zusätzlich Risikokapital von externen Gebern eingeworben. So auch die App »ShareTheMeal« aus dem Accelerator, mit der Smartphone-Besitzer mit einem Klick eine Schulmahlzeit für
40 Cent spenden können. Sie wurde bereits mehr als 16 Millionen Mal benutzt. Das WFP sei schon innovativ, bekräftigt Kowatsch. »Aber den Mitarbeitern fehlt oft die Zeit, ihre Ideen zu verwirklichen – da kommen wir ins Spiel.« (epd)

Der Innovation Accelerator (Innovationsbeschleuniger) des World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen in München wurde gegründet, um vielversprechende Ideen und Lösungswege für eine Welt ohne Hunger zu identifizieren, zu unterstützen und auszubauen. Im Accelerator kommen WFP-Mitarbeiter, Experten aus der Wissenschaft sowie Vertreter der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln und zu verfeinern. Unter dem Einsatz von modernster Technik werden in der kreativen Denkfabrik neue Ideen für eine nachhaltige Hilfe konkretisiert. Die Bedürfnisse der Hungernden stehen dabei im Vordergrund. Alle Projekte werden zu einem frühen Zeitpunkt in der Praxis erprobt. Dadurch können schnell Ergebnisse über ihre Wirkung gewonnen werden, während die Kosten so niedrig wie möglich bleiben.

http://de.wfp.org/über-wfp/wfp-innovation-accelerator

Eine Bäuerin holt in einem Büro des Welternährungsprogramms im Iganga-Distrikt in Uganda eine Plastiktonne ab, in der sie ihre Ernte lagern kann. Früher verdarben viele Lebensmittel nach der Ernte. | Foto: WFP/Lydia Wamala
Die Wüste lebt: Durch Hydrokulturen können Sahauri-Flüchtlinge ihre Lebensgrundlage im kargen Süden Algeriens deutlich verbessern. | Foto: WFP/Nina Schröder
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Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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