Luthers Choral hat mich geprägt

Bundespräsident Joachim Gauck (li.) übergab am 27. Januar dem scheidenden Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Entlassungsurkunde. Steinmeier schied aus dem Kabinett aus, weil er am 12. Februar als Kandidat bei der Wahl des Bundespräsidenten antritt. | Foto: Michael Sohn/picture alliance/AP Photo
  • Bundespräsident Joachim Gauck (li.) übergab am 27. Januar dem scheidenden Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Entlassungsurkunde. Steinmeier schied aus dem Kabinett aus, weil er am 12. Februar als Kandidat bei der Wahl des Bundespräsidenten antritt.
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Interview mit dem scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck

Herr Bundespräsident, Sie waren selbst evangelischer Pfarrer. Was fasziniert Sie an Luther?
Gauck:
Angefangen hat es mit dem Choral »Ein feste Burg ist unser Gott«. Schon als relativ kleiner Junge, geboren im Krieg und als Schüler in der DDR-Diktatur, erlebte ich, wie eine ganze Gesellschaft aus Angst Anpassungsmechanismen entwickelte und ihre Knie beugte vor den Herren dieser Welt. Dann lernte ich in der Christenlehre: »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen, er hilft uns frei aus aller Not« – das war stark. Es vermittelte Selbstvertrauen gegenüber den gleichen Herren dieser Welt. So kam, lange bevor ich mich theologisch mit der Rolle Martin Luthers befasst habe, eine frühe Prägung einfach durch einen Choral aus dem Gesangbuch. So etwas lagert sich tief ein in der Seele eines Menschen.

Luther war ein Kind seiner Zeit, heute steht sein Verhältnis zur Obrigkeit in der Kritik, erst recht seine antisemitischen Äußerungen. Kann der Reformator dennoch als Vorbild gelten?
Gauck:
Luther hat einen Epochenwandel hin zur Moderne angestoßen – ich denke schon, dass er Vorbild sein kann. Auch wenn uns antijudaistische oder gar antisemitische Haltungen bestürzen und wir sie strikt ablehnen: Wir sollten historische Figuren in ihrer Zeit und vor allem in deren Denkmustern sehen und verstehen.
Luther hat eine welthistorische Leistung vollbracht. So ein mittelalterlich geformter Christ, noch geprägt von der Furcht vor dem Teufel, entwickelt Schritt für Schritt eine Sicht auf den einzelnen Menschen, die mit einem ganzen Weltbild bricht. Das ist eigentlich der Beginn der Moderne. Auch seine Idee des Priestertums aller Gläubigen ist ein unglaublicher Protest gegen eine Jahrhunderte lang fest gefügte Institution und gegen kirchliche Obrigkeit.

Welche Erwartungen haben Sie an das Reformationsjubiläum?
Gauck:
Für mich ist es eine Chance, dass eine moderne, suchende Gesellschaft in einer verführbaren Welt sieht, dass es mit Luther eine historische Gestalt gibt, die bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit hilft und Gottvertrauen schenken kann. Der »altböse Feind«, wie er bei ihm hieß, heißt heute Verführungsgesellschaft. Sie redet dir ein: Kümmere dich nur um dich, amüsiere dich, Konsum ist alles. Aber wir können von dieser in eine an Werten orientierte Welt wechseln. Es gibt keine Instanz, die dich zwingt, in der Banalität zu verharren. Auch dafür steht Martin Luther. (epd)

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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