Erfreuliche Erfahrungen

Bischof Gerhard Feige | Foto: epd-bild



Halbzeit des Reformationsjahres: Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, der Ökumene-Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, wurde von Romy Richter und Jens Büttner um eine Einschätzung gebeten.

Ist es gelungen, zu einer gemeinsamen Interpretation der Ereignisse vor 500 Jahren und deren Wirkungen zu kommen?
Feige:
Am Anfang bestand das Klischee: »Die einen wollen jubeln und die anderen beklagen die Spaltung der Christenheit.« Man fragte sich: »Wie soll das zueinander kommen?« Ich glaube, dass wir da einen Weg gefunden haben, der weiterführt. Geschichte und Gegenwart wurden kritisch reflektiert; besonders bedeutsam war dabei die ökumenische Entwicklung in den letzten 50 Jahren.
Wir haben viele Gemeinsamkeiten entdeckt, vor allem im theologisch-kirchlichen Bereich. Auf internationaler Ebene ist hier das Dokument »Vom Konflikt zur Gemeinschaft« vom Lutherischen Weltbund und Päpstlichem Einheitsrat zu nennen. Auf nationaler Ebene denke ich vor allem an den starken evangelisch-katholischen Text zur Versöhnung vom September 2016 mit dem Titel: »Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen«.

Trifft diese gewachsene »ökumenische Sensibilität« auf beide Seiten gleichermaßen zu?
Feige:
Sicherlich sind nicht alle Katholiken meiner Meinung. Aber viele haben die von mir beschriebene Entwicklung mitvollzogen. Was die evangelische Seite betrifft, zweifele ich manchmal, ob die ökumenische Dimension auch für so wichtig gehalten wird; mitunter entdecke ich noch verschiedene konfessionalistisch angehauchte Erklärungsmuster. Das zeigt sich zum Beispiel darin, wie man die Beziehungen zwischen Reformation und Moderne deutet. In manchen protestantischen Äußerungen hört es sich so an, als sei unsere Gegenwart fast ausschließlich durch die Reformation geprägt. Wir Katholiken sehen das etwas differenzierter.

Neben der evangelischen Kirche engagieren sich ganz viele andere Akteure bei den Feierlichkeiten zu 500 Jahren Reformation. Ist das angemessen?
Feige:
Es ist keine Frage, dass die Reformation nicht nur theologische Auswirkungen hatte, sondern auch kulturelle, politische, geistesgeschichtliche. Interessant ist dabei, dass in den vergangenen Jahren ein Kampf um die Deutungshoheit zwischen manchen Historikern, Politikern und Theologen entbrannt ist. Ob nun die theologische oder eher die politische und kulturelle Dimension dominiert, darüber gibt es unterschiedliche Standpunkte.
Als Katholiken interessieren uns besonders die Fragen des Glaubens und die kirchengeschichtlichen Folgen. Demgegenüber sind bei etlichen Akteuren auch Vermarktungsinteressen im Spiel, die manchmal kuriose Blüten treiben. Einige von uns stöhnen schon unter dem »Luther-Rummel«, der da losgetreten wurde. Obwohl Martin Luther nur einer von vielen Reformatoren gewesen ist, verkörpert er in der öffentlichen Wahrnehmung auf einmal fast die ganze Reformation.

Wie sehr nervt Sie dieser Luther-Kult?
Feige:
Manches amüsiert mich. Dazu gehört zum Beispiel eine Luther-Salami, die ich geschenkt bekommen habe, in Form eines Gebetbuches mit der Lutherrose drauf. Irgendein Thüringer Fleischer hat sie erfunden. Bei Luther-Kondomen hingegen frage ich mich schon, ob das ernst gemeint ist oder ob man sich damit über das Reformationsjubiläum lustig machen will. Allerdings ist die evangelische Kirche auch nicht für alles verantwortlich, was manche sich so ausdenken.

Wie evangelisch ist die katholische Kirche heute und wie katholisch sind die Protestanten?
Feige:
Ich denke, dass es in den vergangenen Jahrhunderten zwischen beiden Gruppen Antagonismen und kommunizierende Röhren gegeben hat. Das heißt, wir haben uns im Widerspruch zueinander profiliert, andererseits aber auch immer wieder – bewusst oder unbewusst – einiges voneinander übernommen. Wie stark ist doch zum Beispiel die katholische Kirchenmusik in Deutschland von der evangelischen mitgeprägt worden. Aber auch in theologischen Fragen hat es wichtige Annäherungen gegeben, katholischerseits vor allem durch das Zweite Vatikanische Konzil.
Manches ist gewissermaßen auch in unsere Tradition zurückgekehrt. Früher hieß es zum Beispiel, die katholische Kirche sei die Kirche des Sakraments, die evangelische Kirche die des Wortes. Das kann man so nicht mehr sagen. Wir haben uns da gegenseitig bereichert. Nicht umsonst spricht man heute von einer Ökumene der Gaben. Die evangelische Kirche hat ihre katholische Vergangenheit wiederentdeckt, und wir haben die Impulse der Reformation stärker verinnerlicht.

Angesichts der Diaspora-Situation der Kirchen gerade in Ostdeutschland: Sind Katholiken und Protestanten nicht schon wegen der demografischen Entwicklung zu einer integrativeren Zusammenarbeit gezwungen?
Feige:
Schon in der Vergangenheit sind Christen unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen näher zusammengerückt, auch in weniger ökumenischen Zeiten als wir sie jetzt haben. So waren wir in der DDR – was die zwischenkirchlichen Beziehungen betrifft – in gewisser Weise der Entwicklung schon ein wenig voraus. Heute bringt uns die extreme Entkirchlichung noch enger zueinander. Dabei ist es auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, sich nicht gegeneinander zu profilieren. Viele Menschen verstehen die Unterschiede zwischen evangelisch und katholisch ohnehin
nicht mehr.

Sind sich Katholiken und Protestanten heute näher als vor zehn Jahren?
Feige:
Ich würde sagen, ja. Wir sind auf dem Weg der Versöhnung und Verständigung ein beträchtliches Stück vorangekommen. Ein Beispiel: unsere ökumenische Pilgerreise von 1 000 Gläubigen aus Mitteldeutschland »Mit Luther zum Papst«. Diese Aktion hat offenbar sogar Papst Franziskus beeindruckt, jedenfalls habe ich ihn im Rahmen einer kurzen Begegnung am 31. Oktober 2016 im schwedischen Lund bei diesem Stichwort von mir förmlich strahlen sehen. Bewegend war für mich auch, dass beim zentralen Buß- und Versöhnungsgottesdienst von EKD und Deutscher Bischofskonferenz am 11. März dieses Jahres in Hildesheim jeweils ausdrücklich gesagt wurde: »Liebe evangelische« beziehungsweise »katholische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt und dass Sie den Namen Jesu Christi tragen.« Ich hoffe, dass die erfreulichen Erfahrungen nicht folgenlos bleiben. (epd)

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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