Evangelische Frauen in Mitteldeutschland
Mehr Schutz für Frauen und Mädchen vor Gewalt wird gefordert

Die Frauenvollversammlung der Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland (EFiM) hat zu ihrer Tagung in Neudietendorf ein Positionspapier „Schweigen ist Silber. Reden ist Gold. Wofür wir unsere Stimme erhe-ben: Für den Schutz von Frauen, Mädchen und weiblich wahrgenommenen Personen vor Gewalt“ verab-schiedet. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) wird zu einem wahrnehmbaren JA zur Um-setzung der Istanbul-Konvention mit dem Ziel von Prävention, Verfolgung, Schutz und Beseitigung bei jeglichen Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgerufen. Konkrete Forderungen an die EKM und ihre Gemeinden sind Sensibilisierungs-Kampagnen und Fortbildungen, Teilnahme an Aktionstagen, Information über Angebote zur Hilfe und Seelsorge sowie das Angebot von Schutz- und Gesprächs-Räumen für Betroffene von Diskriminierung und Gewalt.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist demnach kein Thema des Randes und gesellschaftlicher Nischen, sie finde überall statt und durchziehe alle sozialen und institutionellen Bereiche. Mindestens jede dritte Frau habe Erfahrungen mit geschlechtsspezifischer Gewalt, fast täglich falle eine Frau einem versuchten oder vollendeten Tötungsdelikt durch einen Mann zum Opfer, heißt es in dem Papier. Das Ende von Gewalt be-ginne mit der persönlichen, institutionellen und gesellschaftlichen Entscheidung hinzusehen und nicht zu schweigen, sondern die Stimme zu erheben, um Betroffene zu schützen, Täter und Täterinnen bei der Aus-übung von Gewalt zu hindern und Strukturen so zu verändern, dass alle Menschen gleiche Chancen haben.

„Das Ausmaß an Gewalt gegen Frauen, Mädchen und weiblichen wahrgenommen Personen ist hoch – straf-rechtlich relevante sexualisierte oder häusliche Gewalt erfährt jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens“, sagt Eva Lange, Leitende Pfarrerin der EFiM. Die kürzlich erschienene VisSa-Studie der Hochschule Merseburg lege Gewalt noch breiter aus und komme zum Ergebnis, dass 90 Prozent der Befragten mindestens einmal Erfahrungen mit aufdringlichen Blicken, Hinterherrufen oder Nachpfeifen haben. „Beide Schlaglichter verdeutlichen: Wir alle begegnen täglich Frauen und Mädchen, die Erfahrungen mit geschlechtsspezifi-scher Gewalt gemacht haben oder gerade machen. Die Frauenvollversammlung regt die Auseinanderset-zung damit an und bringt einen Anstoß für Sensibilisierung und Aktivitäten in unserer Landeskirche“, so Lange.

Sie verweist auf die 2011 verabschiedete Istanbul-Konvention, das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“. Deutschland ist im Oktober 2022 vollständig beigetreten. Mit dem Übereinkommen werde geschlechtsspezifische Gewalt als Men-schenrechtsverletzung anerkannt, beim Umsetzen der geforderten Maßnahmen komme der Zivilgesell-schaft eine zentrale Rolle zu. Als Gewalt gelten gemäß der Konvention alle Handlungen, die körperliche, sexuelle, psychische oder wirtschaftliche Schäden oder Leiden verursachen. Als Ursache für die ge-schlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen, Mädchen und weibliche wahrgenommene Personen werde die Ungleichverteilung von Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern zugunsten von Männern ange-führt.

In dem Positionspapier wird auf eine Studie verweisen, wonach im Jahr 2021 80 Prozent der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt Frauen waren. Es gab 301 Femizide, also versuchter oder vollendeter Mord oder Totschlag von Frauen. Einen weiteren Bereich geschlechtsspezifischer Gewalt bilde digitale Gewalt, die etwa eine von drei Frauen und Mädchen erlebt habe. Gewalt auf Grund der Geschlechtsidentität oder sexu-ellen Orientierung ist ein Gewaltbereich, dem queere Frauen und weiblich wahrgenommen Personen erfah-ren. Neben der personalen Gewalt seien Frauen und Mädchen auch struktureller Gewalt ausgesetzt, also benachteiligenden gesellschaftlichen oder institutionellen Rahmenbedingungen.

Sich offensiv mit der geschlechtsspezifischen Gewalt auseinanderzusetzen sei auch deshalb so wichtig, weil sie häufig nicht angezeigt werde und unsichtbar bleibe. „Deshalb gilt es, die Augen zu öffnen für An-zeichen der Betroffenheit. Die Ohren zu öffnen für Geschichten und Berichte über Grenzverletzung, Dis-kriminierung und Gewalt. Die Stimme zu erheben – bei Ungleichbehandlungen auf Grund des Geschlechts, durch Gesprächs- und Hilfsangebote für Betroffene, durch die Schaffung von geschützten Räumen zum Austausch, durch die Sichtbarmachung zum Beispiel des Hilfetelefons gegen Gewalt an Frauen (Tel. 0800-116116) und die Beteiligung an Kundgebungen und Aktionstagen“, so das Positionspapier.

Abschließend heißt es darin: „Alle Christen und Christinnen werden aufgerufen, sich einzusetzen für eine Welt, in der alle Menschen, egal welchen Geschlechts, ohne Angst und ohne Gewalt ausgesetzt zu sein, leben können. Das Gute, dass wir in die Welt eintragen können, beginnt in unserem Handlungsspielraum, in unseren Kirchengemeinden und Kommunen“.

Die konkreten Forderungen aus dem Positionspapier für Kirchen und Gemeinden:
1. Geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen, Mädchen und weiblich wahrgenommen Personen, Grenzüber-schreitungen und Diskriminierung müssen auf allen Ebenen der Gesellschaft entschlossen bekämpft
werden.
2. An den Aktionstagen am 25. November (Tag gegen Gewalt an Frauen) und 14. Februar (One Billion
Rising, Kampagne für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen) beteiligen sich Landeskirche und Ge-meinden hör- und sichtbar.
3. Queere Personen müssen sich in der Kirche angenommen und verstanden fühlen. Dazu braucht es Bil-dungsarbeit auf allen kirchlichen Ebenen über die Komponenten geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Es braucht eine Sprache und Verkündigung, mit der sich „LGBTIQ*s“ angesprochen fühlen. Materialen und Fortbildungen werden von der EKM erarbeitet und angeboten.
4. Auf Angebote des Hilfesystems für Mädchen und Frauen, die von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind, sowie das Angebot der Seelsorge und das Seelsorgegeheimnis wird in Kirchengemeinden wiederholt, verständlich und barrierearm (ggf. übersetzt in andere Sprachen) hingewiesen.
5. Die Kirche bietet Räume, in denen betroffenen Mädchen und Frauen über
ihre Erfahrungen sprechen können, in denen sie gehört und ernstgenommen werden, in denen diskriminie-rendes und grenzüberschreitendes Verhalten nicht akzeptiert wird.
5. Deshalb gehört eine Sensibilisierungs-Kampagne dazu: das Thema möge in Gemeindekirchenräten und Synoden besprochen werden. Fortbildungen für Verkündigungsmitarbeitende werden erarbeitet und ange-boten (vergleichbar der Fortbildungen zum Thema Prävention und Intervention gegen sexualisierte Gewalt für
die Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst der EKM).

Die nächste Frauenvollversammlung findet am 7. und 8. Juni 2024 in Magdeburg statt.

Hintergrund:

Die Frauenvollversammlung bringt jährlich engagierte Frauen aus der EKM zusammen und ist damit das zentrale Netzwerktreffen von Frauen auf dem Gebiet der Landeskirche. Die Erfahrungen und Visionen der Frauen werden gebündelt, um gemeinsam Kirche zu gestalten und in die Gesellschaft hineinzuwirken. Die Arbeit an einem gesellschaftspolitischen und/oder theologischen Thema, der Austausch, die Vernetzung und geistliche Stärkung gehören zu den Eckpunkten.

Weitere Informationen im Internet: www.frauenarbeit-ekm.de

Autor:

susanne sobko

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