Erklärung im Wortlaut
Bußandacht zu DDR-Unrecht

- Jürgen Hauskeller
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Eine Bußandacht der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zum DDR-Unrecht findet am Samstag vor Pfingsten (7. Juni) um 16 Uhr in Zella in der Kirche St. Blasii statt. Landesbischof Friedrich Kramer und Regionalbischof Tobias Schüfer sowie Pfarrer i.R. Jürgen Hauskeller als Betroffener gehören zu den Teilnehmern.
Die Jugendarbeit von Pfarrer Jürgen Hauskeller innerhalb der DDR-Zeit war den staatlichen Stellen und der Staatssicherheit ein Dorn im Auge. „Erschreckend ist, dass seine Kirche sich nicht schützend vor ihn gestellt hat, sondern teilweise sogar in Verbindung mit staatlichen Stellen gegen ihn agierte“, resümiert Regionalbischof Tobias Schüfer.
In Zella werden Landesbischof Friedrich Kramer und Regionalbischof Tobias Schüfer zunächst eine Erklärung vorstellen, die der Intention des Bußwortes der Landeskirche folgt und sich zu dem Unrecht äußert, das Pfarrer Hauskeller geschehen ist. Danach feiern alle gemeinsam eine Andacht. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, über das Thema miteinander ins Gespräch zu kommen.
Bußwort - Die Erklärung im Wortlaut:
„Indem unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: … ‚Tut Buße‘ usw. (Matth. 4,17) wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.“
I.
Wir hören aufmerksam die erste der Wittenberger Thesen Martin Luthers und erinnern uns an die Erklärung des Landeskirchenrates:
„Buße bewahrt als das Bekenntnis der Glaubenden zu ihrem Sündersein den fundamentalen Unterschied zwischen Gott und Mensch, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Die Fähigkeit zum Schuldeingeständnis und das Versprechen der Vergebung durch Gott sind Zusage und Merkmale menschlicher Würde. Mit dem Eingeständnis unserer Schuld und der Bitte um Vergebung stellen wir uns unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen.
Buße führt zur Umkehr und verpflichtet uns, „Gerechtigkeit für alle Benachteiligten und Unterdrückten zu schaffen, dem Frieden mit gewaltfreien Mitteln zu dienen, Leben auf dieser Erde zu schützen und zu fördern“ (Ökumenische Versammlung 1989 Dresden).
Umkehr macht frei, das Leben verantwortlich zu gestalten. Umkehr hilft uns, mit unserem Handeln in der Geschichte verantwortlich umzugehen. Bei dieser Aufgabe steht unser Leben unter der Verheißung des schon angebrochenen Reiches Gottes.
Wir blicken dankbar zurück, dass wir unter staatlichem Druck in der Zeit der SBZ und der DDR als Kirche dem Auftrag Jesu Christi folgen konnten. Die Machthaber und ihre Sicherheitsbehörden sind damit gescheitert, den christlichen Glauben zu beseitigen oder das kirchliche Leben ihren Zielen vollständig zu unterwerfen. Viele Christen haben widerstanden, sich nicht erpressen und locken lassen. Dafür sind wir Gott und den Menschen dankbar.
Angesichts dieser Erfahrung bekennen wir: Wir haben staatlichem Druck zu oft nicht standgehalten. Wir haben Fürbitte und Fürsprache geleistet, Unrecht jedoch oft nicht deutlich genug widersprochen. Wir haben uns bis heute nicht in der nötigen Weise unserer zu geringen Unterstützung für die Menschen gestellt, die in der Landwirtschaft, dem Handwerk und anderswo enteignet wurden, den von Zwangsaussiedlungen und Entheimatung Betroffenen, den politischen Gefangenen in der DDR und den in den Suizid Getriebenen.
Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und kompromissloser entgegen getreten zu sein. Wir haben dabei die Erkenntnisse aus der Barmer Theologischen Erklärung nicht ernst genommen. Wir erkennen darin ein geistliches Versagen.
Wir beklagen die Fälle, in denen Pfarrer und Pfarrerinnen und kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben und dass wir unsere Verflochtenheit in diese Schuld bis heute nicht bekennen. Wir beklagen die Fälle, in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden.“
II.
Zu diesen Betroffenen gehört Pfarrer Jürgen Hauskeller. In den Jahren 1968 bis 1975 veranstaltete er Jugendgottesdienste in Zella-Mehlis, die überregional großen Zuspruch erfuhren. Dadurch geriet Pfarrer Hauskeller in das Visier des Ministeriums für Staatssicherheit. Angeregt von der Staatssicherheit kam es im Februar 1972 zu einem Gespräch zwischen dem Vorsitzenden des Bezirkes Suhl, dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres mit Landesbischof Braecklein und OKR Lotz. Den kirchlichen Vertretern wurden Beschwerden über die oppositionelle und staatsfeindliche Haltung des Pfarrers Hauskeller vorgetragen.
Es befremdet, zu sehen, dass sich die kirchlichen Vertreter dabei nicht schützend vor ihren Pfarrer gestellt haben, sondern vielmehr ihre eigenen Ressentiments gegen diesen jungen Pfarrer ausbreiteten. Die von den Kirchenvertretern ausgesprochenen Bedenken, ob es sich bei den Jugendgottesdiensten wirklich um Gottesdienste handele, stärkte die Absicht der staatlichen Stellen, den Jugendgottesdiensten den Gottesdienst-Status abzuerkennen, um sie zu verbieten. Die Bereitschaft der kirchlichen Vertreter, gemeinsam mit den staatlichen Vertretern über Strategien gegen Pfarrer Hauskeller nachzudenken, ermutigte die Staatssicherheit, zielgerichtet auf kirchliche Gremien so einzuwirken, dass diese Pfarrer Hauskeller scheinbar von innen heraus ablehnen.
Dazu erklären wir:
- Diese Jugendgottesdienste waren Gottesdienste.
- Wir sind erschrocken zu sehen, wie die Ablehnung moderner Formen kirchlicher Jugendarbeit bei den Vertretern unserer Kirche eine Nähe hergestellt hat zu der erklärten Absicht der staatlichen Vertreter, weiter gegen Pfarrer Hauskeller vorzugehen.
- Wir beklagen, dass sich die Kirchenleitung nicht schützend vor ihren Pfarrer gestellt hat, als erkennbar wurde, dass die staatlichen Stellen gegen Pfarrer Hauskeller vorgehen werden.
1975 wechselte Pfarrer Hauskeller nach Sondershausen-Stockhausen. Die in Aussicht gestellte Aufhebung des Wartestandes wurden durch den Dienstvorgesetzten Superintendent Adebahr verzögert. 1977 sah Pfarrer Hauskeller nur den Ausweg, gegen sich selbst ein Amtszuchtverfahren zu beantragen, um seine Unschuld nachzuweisen. Das Amtszuchtverfahren des Landeskirchenrates gegen Pfarrer Hauskeller hat im Januar 1978 in Weimar stattgefunden.
Dazu erklären wir:
- Wir sind erschrocken, dass Pfarrer Hauskeller durch das Agieren seines Dienstvorgesetzten in eine solche Notsituation gebracht wurde.
- Dankbar sehen wir auf den klaren Ausgang des Verfahrens, in dem erklärt wurde: „Eine Amtspflichtverletzung liegt nicht vor.“
- Dankbar sehen wir, dass auch in dieser schwierigen Zeit Pfarrer Hauskeller Unterstützung gefunden hat, dass einige Pfarrer offen für ihn eingetreten sind.
- Dass die im Urteil geforderte umgehende Aufhebung des Wartestandes von Pfarrer Hauskeller durch seinen Dienstvorgesetzten Superintendent Adebahr noch weiter verzögert wurde, war Unrecht.
Am 2. Januar 1992 wurde Pfarrer Hauskeller durch die Akteneinsicht die ganze Dimension des Vorgehens des Staatssicherheitsdienstes gegen seine Person deutlich. Die Verstrickung kirchlicher Amtsträger wurde offensichtlich. Als er sich mit diesen Entdeckungen an seine Kirchenleitung wandte und auf Verständnis und Unterstützung hoffte, wurde er erneut enttäuscht.
Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Frage, wie die in den Akten von Pfarrer Hauskeller erkennbare Zusammenarbeit des Superintendenten Adebahr mit der Staatssicherheit und dem Rat des Kreises Abteilung Inneres gegen Pfarrer Hauskeller zu bewerten sei. Da die Arbeitsakte von Superintendent Adebahr als IM der Staatssicherheit offenbar vernichtet worden ist, wurde eine weitere Untersuchung seiner Person ausgesetzt. Der Forderung, auf Grund des Fehlens dieser Akten die Opferakten von Pfarrer Hauskeller in die Untersuchungen mit einzubeziehen, wurde nicht gefolgt. Der Landeskirchenrat vertraute stattdessen der Aussage des Superintendenten Adebahr, nie mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet zu haben. Alle Bemühungen von Pfarrer Hauskeller, diese Aussage zu widerlegen, wurden zurückgewiesen.
Dazu erklären wir:
- Wir beklagen, dass es durch die Nichtbeachtung der Akten gegen Pfarrer Hauskeller zu keiner hinreichenden Klärung gekommen ist.
- Wir beklagen, dass durch diese fehlende Klärung in den folgenden Jahren, wenn das Gespräch auf die mögliche Verstrickung von Sup. Adebahr mit der Staatssicherheit kam, Pfarrer Hauskeller mehrfach öffentlich als Lügner bezeichnet wurde, sich die Pfarrkonvente in Sondershausen-Ebeleben und Bad Frankenhausen von ihm distanzierten und er als „Nestbeschmutzer“ behandelt wurde.
- Wir erkennen, wie schwer es Pfarrer Hauskeller getroffen hat, dass seine Opfer-Akten in die Aufarbeitung nicht mit einbezogen wurden und sehen mit Bedauern, wie schwer ihn das zeitweise psychisch belastet hat.
Im Jahre 2000 ging Pfarrer Hauskeller in den Ruhestand, in den letzten Jahren getragen und ermutigt allein von vielen Gemeindegliedern seiner Gemeinden. Im Jahr 2002 wurde Pfarrer Hauskeller mit seiner Frau von der Mission EineWelt in Neuendettelsau nach Kinshasa in die Demokratische Republik Kongo entsandt. Sie übernahmen dort einen missionarischen Dienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Kongo. Als Pfarrer Hauskeller im Jahre 2004 seine kongolesischen Kinder Dominik, Elias und Savannah in der Kirche von Sondershausen-Stockhausen, in der er als Pfarrer 25 Jahre lang Dienst getan hatte, taufen lassen wollte, wurde ihm das vom Gemeindekirchenrat untersagt und in der Folge ein vom Landeskirchenrat gebilligtes zehnjähriges Gemeindeauftrittsverbot ausgesprochen. Dieses Verbot ist 18 Jahre lang bis 2022 praktiziert worden.
Dazu erklären wir:
- Wir beklagen, wie die fehlende Klärung des in der DDR erlittenen Unrechts die Folgejahre vergiftet hat, weitere Unrechtserfahrungen nach sich zog, wie dadurch Pfarrer Hauskeller und seine Familie weiter als „Störfaktor“ behandelt wurde.
Rückblickend auf die Jahrzehnte seines Dienstes in unserer Kirche, rückblickend auf das vielfache Unrecht, das Pfarrer Hauskeller erlitten hat, erklären wir:
- Wir danken Pfarrer Hauskeller für seinen engagierten Dienst in unserer Kirche.
- Angesichts der Verletzungen, die Pfarrer Hauskeller in seiner Kirche und durch seine Kirche erfahren hat, bitten wir Gott und bitten wir Pfarrer Hauskeller um Vergebung.
Bußandacht zu DDR-Unrecht
7. Juni (Sa), 16 Uhr, Zella, Kirche St. Blasii,
mit Landesbischof Friedrich Kramer und Regionalbischof Tobias Schüfer
Autor:susanne sobko |
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