CUR DEUS HOMO
WARUM GOTT MENSCH WARD

Warum Gott Mensch wurde? Anselms Buch Cur Deus Homo versucht eine Antwort auf diese Frage. Nicht das Schlechteste ist dabei heraus gekommen. Es gibt Bücher, die Werkzeuge sind. Kantig, zweckmäßig und ohne Verzierung. Cur Deus Homo ist auch so eins. Kein Weihrauch, keine Visionen, kein Engelsgetöse. Stattdessen ein einziger geduldiger Gedankengang, der sich weigert, die große christliche Behauptung – Gott wird Mensch – bei den Wundern abzuheften. Anselm fragt: Warum musste das so sein - und warum ist es vernünftig.

Der Ausgangspunkt ist unerquicklich und gerade deshalb ernst zu nehmen. Sünde, so Anselm, sei nicht nur privater Fehltritt oder moralischer Kratzer. Sie ist eine Störung der Ordnung. Wer sündigt und damit wissentlich das Gute verfehlt, nimmt sich einen Freiheitsvorteil, der ihm nicht zusteht. Die Welt gerät dadurch aus dem Gleichgewicht. Das klingt abstrakt, lässt sich aber in’s Banale übersetzen: Wer Leistungen empfängt, ohne je zu zahlen, ruiniert nicht nur den Wirt, sondern das Vertrauen im Lokal. Ordnung zerfällt dann schleichend.

Nun könnte man sagen: Gott wird das schon verzeihen. Genau hier setzt Anselms Widerstand ein. Vergebung, die Unordnung zu lässt, ist keine Heilung. Ein Richter, der Urteile verschenkt, zerstört das Recht, selbst wenn er es gut meint. Für Anselm ist Gott nicht der große Nachsichtige, sondern der Garant der Ordnung. Er ist zwar barmherzig, aber handelt nicht gegen die Gerechtigkeit, die er ebenfalls ist.

Also müsste der Mensch selbst die gestörte Ordnung ausgleichen. Doch womit? Er schuldet Gott bereits alles. Wer pleite ist, kann keine Schulden begleichen. Damit sitzt die Menschheit in einer misslichen Lage. Verantwortung - aber ohne Möglichkeit der Wiedergutmachung.

An dieser Stelle tritt die Figur des Gottmenschen als logische Notwendigkeit auf. Die Genugtuung muss vom Menschen kommen, weil der Mensch die Ordnung verletzt hat. Und sie muss unendlich sein, weil die Ordnung Gottes unendlich ist. Beides zugleich kann ein gewöhnlicher Akteur nicht leisten. Also muss sich Gott selbst in die menschliche Lage versetzen, um das auszugleichen, was der Mensch allein nicht vermag. Deshalb die Geburt. Auch der Tod Christi ist für diese Art Denken kein blutiger Preis, den ein zorniger Gott verlangt. Er ist ein freiwilliger Akt, der mehr gibt, als geschuldet wird. Ein Mensch ohne Schuld, der alles hingibt, erzeugt ein Übermaß an Ordnung. Dieses Übermaß bringt die Welt wird in Ordnung.

Anselms Gedankengang wirkt auf moderne Leser hart. Doch er zielt nicht auf Strafe, sondern auf Stimmigkeit. Erlösung geschieht nicht durch ein Machtwort, sondern durch Wiederherstellung. Vielleicht liegt gerade darin die anhaltende Provokation des Buches. Sein Autor Anselm von Canterbury traut unserer Vernunft zu, bis an den Rand des Geheimnisses zu gehen. Und traut dem Glauben zu, sich dieser Zumutung auszusetzen. Cur Deus Homo ist kein tröstliches Buch. Es ist ein klares Buch. Und Klarheit ist, theologisch betrachtet, die riskanteste Form der Barmherzigkeit …

Autor:

Matthias Schollmeyer

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