die kalte Sophie
HEUTE - 15. Mai

Legende der heiligen Sophia von Rom
Es war zur Zeit des Kaisers Diokletian, als der Boden vom Blute der Zeugen Christi dampfte und der Himmel seine Ohren vor dem Leid der frommen Märtyrer verschlossen zu haben schien. Da lebte in Rom eine Jungfrau namens Sophia, was soviel wie Weisheit bedeutet. Und diese Jungfrau war wahrhaftig weise - dazu noch keusch, glühend im Gebet und furchtlos.

Das Herz hatte sie Christus verloben wollen und ihre Zunge war wahrer Worte kundig und schwieg nicht. Sophie predigte auf den Märkten, am Tiberufer, ja selbst vor dem Mamertinischen Kerker, allwo man die Gefangenen auf die Stunde bitterster Martern verwahrte. Sophia trug immerdar ein Büchlein mit sich – aus dünn geschabtem Lammleder bestand dasselbe. Und mit eigener Hand hatte sie die Worte der Apostel darein geschrieben, mit ihren eigenen Tränen, die mit Tinte aus Kohle und Myrrhentinktur gemischt war.

Als man nun Sophia vor den grausamen Präfekten der Stadt führte, fragte dieser: „Du bist jung und schön. Warum verachtest du den Kaiser und die Götter?“ Sophia aber sprach: „Ich bin verlobt mit dem, der Feuer ist und mich ewig zu sich nehmen wird. Deine Götzen frieren in ihren Tempeln. In mir aber brennt mein Christus.“

Da ließ man sie in einen Trog mit kaltem Eiswasser werfen, das man aus dem Gletscher des Apennin herab bringen ließ. Und sie saß darin sieben Tage und Nächte lang – aber sie betete, und ihr Atem wurde zu Dampf, der sich wie Weihrauch um ihren Leib schlang, lagerte und wärmte.

Die Soldaten jedoch, welche Sophia bewachten, starben an Frostbeulen. Und Krähenvögel, die in die Finger der Heiligen zu hacken sich anschicken wollten, erfroren in der Luft und fielen tot neben den eisbedeckten Kessel. Schließlich barsten die Kessel, in die man das eisige Wasser schöpfte. Einer nach dem anderen zersprang – jeder mit einem Glockenton, als würde das Firmament sein Geläut zur Ehren der leidenden Jungfrau anstimmen wollen.

Am achten Tag trat der Henker vor sie hin, das Schwert in der Hand. „Willst du nun leben oder sterben?“ schrie er mit mächtiger Stimme. „Ich lebe längst,“ antwortete sie ihm, „du bist der Tote.“ Und dann neigte sie ihr Haupt, wie die Ähre im kalten Wind, und empfing das Martyrium.

Wundersame Kunde verbreitete sich im Laufe der von da ab verrinnenden Zeit. Als man Sophias Leib in die Erde legte, fiel Frost auf Rom – mitten im Mai. Die Blüten an den Feigen wurden schwarz, und der Lorbeer warf seine Blätter ab. Doch über dem Grab der Jungfrau blühte ein Mandelbaum – mit Eiskristallen an den Zweigen. Pilger, die dort beteten, hörten ein Flüstern: „Die Erde friert, damit sie Frucht bringt.“

Im Jahre des Herrn 777 führte Bischof Remigius von Straßburg eine heilige Lade mit den Gebeinen der Märtyrerin Sophie gen Norden. Und siehe: Die Karawane kam bei Eschau an – am fünfzehnten Tag des Monats Mai. Kaum war der Sarkophag in die Kirche gelegt, stieg ein kühler Hauch aus der Gruft. Die Alten sagten, es sei der Segen der Sophia: Ein kalter Tag im Mai – auf dass das Korn nicht zu früh ausschlage. Und so wurde sie genannt: die Kalte Sophie – Sopherl die Strenge, Patronin der Spätfröste, Hüterin der Weisheit, Schutzfrau der Gärtner. Darum ruft man sie an, wenn die Knospen wagen, zu früh zu träumen. Darum nennt man sie die Letzte der Eisheiligen – denn wer bei ihr besteht, darf hoffen auf Ernte. Sie erscheint den Frommen manchmal in weißem Gewand, mit einem Buch aus Eis und einer Flamme, die darinnen leuchtet. Sophia spricht nicht viel. Wer sie sieht, den friert - aber hernach fällt das Feuer des guten Glaubens auf ihn, dass sie für alle Zeit Gutes stifte der Feldflur.

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

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