25. September 1555 - 2025
470 Jahre - Augsburger Religionsfrieden

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Man muss den Augsburger Religionsfrieden vom 25.September 1555 – dieses fast preußisch wirkende Frühwerk deutscher Kompromisskultur – nicht verklären, um ihn als Chiffre für eine Lehre zu nehmen, die uns heute schmerzlich fehlt: das Recht auf Koexistenz. Damals wurde es, unter Schmerzen und mit spitzen Federn, zwischen Katholiken und Lutheranern durchgepaukt, weil selbst das Schwert nicht mehr Herr über die Meinungen werden konnte. Man einigte sich auf das Prinzip „cuius regio, eius religio“ – ein Herr, also eine Konfession. Von heutiger Warte aus ein barbarisches, autoritäres Arrangement, aber immerhin ein Anerkennen des Faktums: Der Gegner ist nicht aus der Welt zu schaffen, er bleibt, er sitzt mit am Tisch der Geschichte.
Und was erleben wir nun, fast ein halbes Jahrtausend später, im aufgeklärten, postmodernen Deutschland? Eine linksliberale Priesterkaste, die mit heiliger Selbstgerechtigkeit so tut, als könne man die Hälfte des politischen Spektrums mit Bannflüchen, Nazivokabeln und moralischer Exkommunikation erledigen. Das Credo lautet nicht mehr: „Lebe du nach deinem Glauben, ich nach meinem.“ Es heißt heute: „Es gibt nur meinen Glauben – den der woken Selbstbespiegelung. Alles andere ist Faschismus.“ Eine säkular gewordene Theologie der Cancel Culture, die aus intellektueller Verarmung gespeist wird und deren Sakramente Sprachverbote, Genderschnörkel und Denkmalsstürze sind.
Hier offenbart sich die neue Torheit der Macht: Ministerinnen, die mit funkelnden Augen Bismarckbilder abhängen wollen, weil sie den inhärenten „Kolonialismus“ nicht ertragen – als ob der eiserne Kanzler, der das Reich geeint und den Sozialstaat erfunden hat, ihnen persönlich im Sitzungszimmer die Luft zum Atmen nimmt. Dieselben Leute, die Straßen umbenennen wollen, weil die Geschichte nicht dem Spiegelbild ihrer Tugendfrisuren entspricht. Historische Ahnungslosigkeit ist ihr Kapital: je weniger sie wissen, desto unerschrockener sind sie im moralischen Furor.
Doch gerade am Augsburger Datum müsste man den Finger in die Wunde legen: Ohne Anerkennung des politischen Gegners kein Frieden, ohne institutionalisierte Gleichbehandlung kein funktionierender Pluralismus. Das Parlament ist kein moralischer Therapieraum für linksgrüne Befindlichkeiten, sondern eine Arena, in der die Differenz ausgehalten werden muss. Oppositionsparteien auszugrenzen, sie in Landtagen oder im Bundestag wie Aussätzige zu behandeln – das ist nichts anderes als die Wiederholung jener konfessionellen Engführung, die Europa einst mit Kriegen überzogen hatte.
Wer die politischen Gegner nicht als legitimen Mitspieler akzeptiert, sondern als „Unmenschen“, „Nazis“, „Faschisten“ etikettiert, handelt nicht im Geiste des Religionsfriedens, sondern im Geist der Inquisition. Die wahre Gefahr für die Demokratie kommt nicht von ein paar Schreihälsen am linken oder rechten Rand, sondern von der wohlfrisierten Ignoranz jener politisch Unreifen, die mit moralischer Hybris meinen, sie seien die Einzigen, die noch sprechen dürfen.
Von den Stühlen und Sesseln des Augsburger Religionsfriedens ruft man uns zu: "Weder katholisch noch lutherisch allein konnte uns das Reich bestehen – und ebenso wenig heute: Weder linksgrün noch konservativ allein wird Deutschland zu seiner Aufgabe in der Welt und speziell für Europa zurück gelangen. Was es braucht, ist die Rückkehr zur Gleichbehandlung im Parlament und zur Einsicht, dass Demokratie nicht heißt, die eigene Meinung sei die letzte Wahrheit, sondern auch der Irrtum des Gegners besitzt legitimes Daseinsrecht."
Die Lektion vom 25.9.1555 ist keine Fußnote, sie ist eine eminente Mahnung: Ohne Anerkennung des Anderen stürzt jede Republik in die zurecht so genannte Idiotie ab. Wir sind gerade dabei, das zu riskieren.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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