CHRISTLICHER GLAUBE
IM UMFELD DER POSTMODERNE

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
christlicher Glaube im Umfeld der Postmoderne
Die Gestalt des gegenwärtigen Christentums ist einem enormen Spannungsfeld ausgesetzt. Einerseits hat die sogenannte Neuzeit mit ihrem Anspruch auf Vernunft, mit dem Aufbruch der Aufklärung und den politischen Umwälzungen seit dem 19. Jahrhundert die Kirche in eine tiefe Krise gelangen lassen. Andererseits erweist sich gerade darin die bleibende Stärke ihrer Frage nach Gott.
Zunächst ist zu erinnern an das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche selbst. Viele Menschen treten aus der Institution aus, nicht selten im Protest gegen Fehlentwicklungen, Skandale oder ihrer Nähe zu weltlicher Macht. Doch dieser Schritt verkennt die eigentliche Struktur der Kirche. Sie ist nicht bloß eine fatale Institution, die nach menschlichem Ermessen und Gutdünken geschaffen wurde, sondern war immer auch Raum, in dem die Sakramente als Zeichen und Werkzeuge göttlicher Gnade wirksam waren und sind. Wer die Kirche nun bewusst verlässt, trennt sich nicht so sehr von einer Verwaltung, sondern eher von einem Heilsgeschehen, das größer ist als die Summe der Sünden seiner Amtsträger.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der Selbstveränderung der Theologie in der Moderne. Vor allem der Protestantismus hat in seinem Bemühen, sich der aufgeklärten Welt zu öffnen, sich der Welt unterschiedslos angepasst und damit vielfach die Transzendenz Gottes auf’s Spiel gesetzt oder gar zurückgedrängt. Gott wurde verstanden als moralisches Prinzip, als Begründung sittlicher Ordnung, nicht mehr als der lebendig ewige Herr, der sich in Geschichte und Sakrament offenbarend zeigt. Ein im Sinne menschlicher Zwecke „aufgeklärter Gott“ aber verliert seine eigene Wirklichkeit. Er wird zu einer didaktischen Figur, die letztlich entbehrlich wird, wenn der moralische Konsens auch ohne ihn zustande kommt.
Gleichzeitig erhebt sich die Stimme eines neuen Atheismus. Autoren, die sich der Wissenschaft verpflichtet glauben, treten auf mit dem Anspruch, Religion überwinden zu können. Doch ihre Argumentation trägt selbst dogmatisch-religiöse Züge. Sie verkünden mit apodiktischer Gewissheit die Nichtexistenz Gottes und wiederholen damit die Strenge derjenigen Orthodoxien, die sie bekämpfen zu müssen meinen. Es entsteht eine paradoxe Situation: Der Atheismus erhebt sich selber zur Religion und zwar zur Religion des Unglaubens, intolerant gegen alles, was sich dem Zugriff des empirischen Beweises entzieht.
Drittens ist die Frage der Toleranz zu bedenken. Eine Gesellschaft, die Toleranz als ihr oberstes Prinzip erhebt, läuft Gefahr, ihre eigenen Grundlagen preiszugeben. Toleranz bedeutet nicht, das Eigene aufzugeben, sondern es in vernünftiger Weise zu behaupten und zugleich die Freiheit des Anderen zu achten. Wo aber jede Bindung an Wahrheit verdächtigt wird, verkehrt sich Toleranz in Beliebigkeit. Dann wird nicht mehr geschützt, was den Menschen trägt, sondern preisgegeben, was ihn im Tiefsten ausmacht.
Vor diesem Problemhorizont gesehen wird verständlich, weshalb die Unterstützung der Kirche durch den Staat nicht bloß ein Relikt vergangener Zeiten ist, sondern Ausdruck der Einsicht, dass Religion zum Gemeinwesen gehört. Wenn man diese Verbindung leichtfertig kappt, öffnet man das Feld neuen Surrogaten und Ersatzreligionen: dem Kult vor dem bedrohten Klima etwa, der Vergöttlichung des Marktes, der Ideologisierung von Identität. Diese Mächte füllen dann das Vakuum, das entsteht, wenn die Kirche verstummt.
So lässt sich folgende Linie zusammenfassen: Die Kirche ist nicht frei von Schuld, aber sie bleibt der Ort, an dem Gott als gegenwärtig gedacht und damit auch erfahrbar wird. Ein Gott, der nur als moralisches Symbol gedacht ist, löst sich auf. Ein Atheismus, der im Namen der Vernunft dogmatisch auftritt, verfehlt sein Ziel. Eine Toleranz, die ohne Wahrheit auskommen will, zerstört die eigenen Grundlagen. Und eine Gesellschaft, die die Kirche preisgibt, verliert mehr, als sie gewinnt. Gerade darum gilt: Es ist die Aufgabe der Christen, den Glauben nicht in Anpassung und/oder Verzicht auf Transzendenz zu schwächen, sondern ihn in seiner Tiefe zu bekennen – als Weg, auf dem Gott selbst in die Geschichte tritt und den Menschen zu seinem Heil führt.
Der Verdacht liegt nahe, dass der Kirche ein schwerer Weg bevorsteht. Vielleicht macht aber dieser schwere Weg es erst möglich, sie zu ihrer ursprünglichen Stärke zurückzuführen, die nach dem Wort des heiligen Paulus gerade in ihrer Schwäche besteht. Søren Kierkegaard soll Folgendes gesagt haben: „Der Tyrann stirbt und seine Herrschaft ist vorüber; der Märtyrer stirbt und seine Herrschaft beginnt.“ Es kann also wohl sein, dass die Kraft des Christentums erst wieder zum Erstarken kommt, wenn seine Vertreter zu Märtyrern geworden sind. Wobei Märtyrertum nicht darin bestehen muss, in einer Arena gegen Löwen gekämpft oder das Haupt unter ein Fallbeil gelegt zu haben. Es reicht (hoffentlich) vielleicht auch aus, dass man sich für die Wahrheit interessiert, ihrer Fiktion Gefolgschaft leistet, sie im Gespräch zum Thema gemacht und ihr auf diese Weise gedient hat.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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