am Abend
des Johannestages

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
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„Ist etwa dies der Tod?“ Eine letzte Frage beschließt das vierte Lied „Im Abendrot“ – sanft in den Äther entlassend, fast jenseits der Sprache selbst – und das ist keine Furchtformel, kein metaphysischer Schrei, sondern eine staunende Frage im Angesicht des Friedens. Es ist eine Frage, die das große musikalische Schweigen vorbereitet, in das Richard Strauss sein Leben gleiten lässt, wie in ein letztes Gebet.
Der Komponist ist sehr alt geworden. Als er 1948 diese Lieder komponierte, war Europa verwundet, der eigene Lebenskreis war ausgehöhlt von Geschichte. Und doch: Was erklingt, ist kein Abgesang, sondern ein letzter Blick – gleichsam aus der Höhe eines Gnadenblicks heraus. Die Musik ist nicht dunkel, sondern licht. Sie will nicht mehr erklären, sondern still werden.
Und Eichendorffs Verse – besonders in „Im Abendrot“ – sind mehr als poetische Impression. Sie tragen ein theologisches Ahnen. Die beiden Alten, von denen die Rede ist, haben „so viel erlebt“ – sie sind nicht bloß müde, sie sind vollendet müde. Und über ihnen steht das Bild der Lerche: „Wer du bist, bald weiß sie’s nicht mehr“ – eine transzendente Geste, ein Verlassen der Erde. Dass die Lerche singt, aber schon entschwindet, verweist auf jene andere Welt, von der die Sprache nicht mehr spricht, sondern nur noch die Musik.
Strauss komponiert das nicht als Totenlied, sondern als Heimkehr. Die Musik ist durchzogen von einer leisen Erlösung, von einer fast katholischen Ahnung, dass der Tod nicht als letzte Kälte kommt, sondern als endgültiges Licht. In gewisser Weise hat Strauss, der kein gläubiger Mensch im engeren Sinne war, mit diesen Liedern eine Art metaphysischer Liturgie geschaffen. Die Musik ist leiblich – sie trägt das, was Worte nicht mehr halten können.
Wenn Christen auf solche Kunstwerke schauen, sollten sie dieselben weder schnell taufen noch vorschnell verdammen. Sondern wir dürfen lernen zu hören. Der Komponist spricht aus einer Welt, in der der Tod noch das „Geheimnis“ war – nicht die medizinisch klärbare Endstation, sondern die Schwelle zu einer Gegenwart, in der das Wesen des Menschen offenbar wird.
„Ist dies etwa der Tod?“ – Diese Frage steht wie eine Parallele zur letzten Frage Christi am Kreuz: „Mein Gott, warum?“ Und wie dort keine sofortige Antwort folgt, so schweigt auch hier die Musik. Doch gerade im Schweigen, im Verklingen, ahnt man die Antwort: Der Tod ist nicht das Ende, sondern die letzte Verwandlung – vom Wort zur Musik, vom Leben zur Stille Gottes.
Am Ende bleibt der Horizont offen. Der Blick weitet sich. Man sieht nicht mehr zurück, sondern voraus. Die vier letzten Lieder sind kein Schluss, sondern ein Übergang. Sie sind – vielleicht – das „Nunc dimittis“ des Richard Strauss. Und in diesem Nunc liegt jene Hoffnung, die nicht mehr argumentiert, sondern nur noch atmet:
„Wie sind wir wandermüde –
ist etwa dies der Tod?“
Nein, möchte man am Ende des Tages St.Johanni antworten, es ist die Geburt des Letzten. Die letzten textlosen Takte der Musik sind unübertroffen …
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4. Im Abendrot
Wir sind durch Not und Freude
Gegangen Hand in Hand,
Vom Wandern ruhen wir
Nun überm stillen Land.
Rings sich die Thäler neigen,
Es dunkelt schon die Luft,
Zwei Lerchen nur noch steigen
Nachträumend in den Duft.
Tritt her, und laß sie schwirren,
Bald ist es Schlafenszeit,
Daß wir uns nicht verirren
In dieser Einsamkeit.
O weiter stiller Friede!
So tief im Abendrot,
Wie sind wir wandermüde --
Ist dies etwa der Tod?
Text: Joseph Karl Benedikt, Freiherr von Eichendorff (1788 - 1857), "Im Abendrot" in Gedichte, in 4. Frühling und Liebe
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