Kyrill v. Alexandria am 27. Juni
Bedeutung des Titels Theotokos

Zur dogmatischen und geistlichen Bedeutung des Titels Theotokos - Erinnerung an Kyrill von Alexandrien und an das Konzil zu Ephesus 341

1. Einleitung: Die Würde des Namens
Die Kirche ist eine hörende Kirche. Sie lebt nicht einfach so aus sich selbst heraus, sondern aus dem Wort, das an sie ergangen ist – aus der Selbstmitteilung Gottes, welche die Kirche nicht selber produzierte, sondern empfing. Wo die Kirche spricht, spricht sie in der Regel nur dieses einmal Empfangene nach – sie nennt, was sie gehört hat. Und wenn sie deshalb Namen und Begriffe verteilt, dann tut sie das nicht, weil sie neu definieren oder festlegen will, sondern weil sie glaubt, durch den Heiligen Geist geführt zu werden, dasjenige erkennend zu benennen, was ihr selbst zeitlich längst voraus liegt.
So auch im Fall jenes Namens oder Begriffs, der über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Streit entfacht hat, der aber dennoch blieb als wichtiger Brennpunkt christlichen Glaubens: Der Begriff Theotokos – Gottesgebärerin. Der Begriff Theotokos ist auf besondere Weise mit dem Kirchenvater Kyrill von Alexandria verbunden, dessen Tag der heutige 27. Juni ist.

In dem Begriff Theotokos spiegelt sich ein ganzer Kosmos theologischer Überlegungen und Wahrheiten. Theotokos ist also weniger ein poetischer Titel oder fromme Namensübertreibung, aber mehr eine Bekenntnisformel, gewachsen aus der Notwendigkeit, die Wahrheit Christi gegen ihre leichtfertige und gedankenlose Zersetzung zu verteidigen. Wer Maria "Gottesgebärerin" nennt, bekennt, dass der aus ihr geborene Mensch Jesus nicht ein bloßer Prophet war, nicht ein bloßes Werkzeug, sondern wahrer Gott – von Anfang an.
Umgekehrt: Wer diesen Namen leugnet, leugnet mehr als Maria. Er stellt in Frage, ob Gott wirklich Mensch geworden ist. Die Auseinandersetzung um den Titel Theotokos war in der Hauptsache nämlich nie eine bloß mariologische, sondern stets eine eher zutiefst christologische Auseinandersetzung – ein Ringen um das Zentrum des Glaubens, um die Eigenart der zweiten trinitarischen Person, des Sohnes Gottes und Christus.

Wir sehen an dieser Stelle: Namen sind in der Kirche keine Äußerlichkeiten. Sie sind Türen, die zu den Mysterium führen können. Wenn die Kirche einen Namen mit all der ihr zur Verfügung stehenden Kraft verteidigt – wie diesen Namen –, dann deshalb, weil in ihm Wahrheit wohnt, ja mehr: Weil in ihm die Würde Gottes selbst berührt wird.

Der Titel Theotokos ist die Antwort der Kirche auf das unbegreifliche Tun Gottes: "Du, o Höchster, hast dich nicht geschämt, geboren zu werden. Deshalb wagen wir, Maria so zu nennen.

2. Die Schrift im Hintergrund
Der Glaube der Kirche beruht also nicht auf ihrer spekulativen Genialität, die sie als Eigenart unweigerlich ebenfalls inne hat, sondern auf der hörenden Treue zur Heiligen Schrift. Was im Dogma ausgesprochen wird, ist nicht neue Wahrheit, sondern verdichtete Erinnerung an die Schrift. Der Titel Theotokos, der in den Konzilsakten des Jahres 431 in Ephesos dogmatisch bestätigt wurde, hat seine Wurzeln im Schriftzeugnis – wenngleich er als Begriff im Neuen Testament so gar nicht steht.

a) Lukas 1,43 – „Die Mutter meines Herrn“
Elisabet ruft Maria entgegen: „Wie kommt es, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Der Titel Kyrios (Herr) ist bereits alttestamentlich geprägt – als Übersetzung des Gottesnamens JHWH. Maria wird hier nicht einfach als Mutter des erwarteten und gekommenden Messias, sondern als Mutter des göttlichen HERRN angesprochen. Die Kirche hat diese Stelle immer als historisch-zeitlich erste Ankündigung der Theotokos gelesen.

b) Galater 4,4 – „Geboren von einer Frau“
Paulus spricht schlicht: „Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter das Gesetz.“ Der Logos wird nicht nur Mensch, sondern durchläuft die völlige Abhängigkeit des leiblichen Geburtsgeschehens – buchstäblich "durch" eine Frau. Die Frau wird hier nicht als Funktion, sondern als Voraussetzung der Gottesgeburt genannt. Die Geburt Christi ist nicht nur Zeichen, sondern Wirklichkeit der Inkarnation.

c) Johannes 1,14 – „Das Wort ist Fleisch geworden“
Der Prolog des Johannesevangeliums sagt alles: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Nicht "ein Mensch wurde von Gott erfüllt", sondern das Wort selbst wird Mensch. Die Kirche erkannte darin: Wenn Maria diesen Leib geboren hat, hat sie den Logos in die Welt hinaus geboren – nicht nur einen besonderen Menschen, den Gott dann irgendwie bewohnte, sondern Gott selbst im Fleisch wurde durch sie geboren.

3. Der historische Streitfall – Nestorius, Kyrill und das Konzil von Ephesos
Es gibt aber ebenfalls eine andere Form des Ausdrucks Theotokos - nämlich Christotokos (Christusgebärerin. Ist das dasselbe?

a) Nestorius und die antiochenische Schule
Nein - das meint nicht dasselbe. Nestorius wollte die Gottheit Christi schützen – und trennte dabei deren Einheit von der menschlichen Seite ab. Er lehnte den Begriff Theotokos ab, sprach aber von Maria als Christotokos, weil sie nur den "menschlichen Christus" geboren habe. Der Logos sei in diesen Menschen triumphal „eingezogen“ – jedoch nicht mit ihm identisch.

b) Kyrill von Alexandrien und die alexandrinische Schule
Kyrill dagegen sah, dass der nestorianische Begriff Christotokos den Glauben an die wahre Inkarnation Gottes als Menschen zerstören würde. Für ihn war klar: Maria hat den einen Christus geboren – den menschgewordenen Sohn Gottes. Nicht einen Menschen, sondern das fleischgewordene Wort Gottes. In dem keine Trennung zwischen Gott und Mensch wahrnehmbar ist.

c) Das Konzil von Ephesos (431)
Das Konzil entschied: Maria ist mit Recht Theotokos. Es formulierte: „Wenn jemand nicht bekennt, dass Emmanuel in Wahrheit Gott ist und daher die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist – denn sie hat nach dem Fleisch das fleischgewordene Wort Gottes geboren –, der sei ausgeschlossen.“ (DH 252) Das war hart - aber konsequent.

4. Dogmatische Klärung – Die Einheit Christi
Das Konzil lehrte also: Es gibt eine einzige Wirklichkeit in Christus – den göttlichen Sohn. Das ist das zentrale Bekenntnis zu dem, was die Alte Kirche "Hypostatische Union" nennen wollte – zur Einheit der göttlichen und menschlichen Natur in der einen Person des Sohnes.
Und deshalb gilt: Wer Maria „Gottesgebärerin“ nennt, bekennt die volle Gottheit Christi von Anfang an – und das bleibende Geheimnis der Inkarnation.. Diese Person ist zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch. Die Kirche bekennt vielmehr: Maria hat den geboren, der Gott ist. Und dieser ist eine Person: der göttliche Sohn, der Logos. Maria gebiert nicht die göttliche Natur, sondern den, der in göttlicher und menschlicher Natur zugleich existiert – unvermischt, ungetrennt, wie es das Konzil von Chalcedon es zwanzig Jahre später im Jahr 451 formulieren wird. Was Maria geboren hat ist also nicht eine „menschliche Hülle“, sondern eine vollkommene göttliche Wesenheit bzw. Person in zwei Naturen. Deshalb nennt die Kirche Maria Theotokos. Wer diesen Titel verwirft, stellt die Einheit Christi in Frage. Und wer sie anerkennt, bekennt damit die Inkarnation in voller Tiefe. Die trubelhaften und unwürdigen Begebenheiten vor, während und nach dieser Synode sollen hier nicht erwähnt werden. An anderer Stelle werden wir ihr einen Essay widmen.

5. Die Bedeutung für die Kirche – Maria als Bild der empfangenden und gebärenden Ecclesia
Die Folgen der Theotokos-Überlegungen? Maria ist mehr als ein historischer Mensch: Sie ist Typus der Kirche. In ihr zeigt sich, wie der Glaube wirkt: Hörend, empfangend, gebärend. So wie Maria das Wort empfing und real zur Welt brachte, so ist die Kirche gerufen, den Glauben zu empfangen, zu tragen, und in der Welt sichtbar werden zu lassen.
Nicht so sehr also durch Organisation, sondern besonders durch personale Hingabe wird die Kirche fruchtbar. Deshalb ist Maria nicht nur Patronin, sondern Prototyp: Die Kirche ist marianisch, ehe sie petrinisch ist (J.Ratzinger).

6. Gegenwart und Missverständnisse
Heute wird der Titel Theotokos vielfach missverstanden – als unzeitgemäße Überhöhung, als Mythos, als archaisches Konzept, das lieber abgeschafft werden sollte. Doch der Begriff Theotokos sagt nichts anderes aus, als dass der Glaube an Christus leiblich, konkret, geschichtlich verstanden werden soll. Maria ist Theotokos, weil Gott nicht nur in Ideen, sondern unüberbietbar in leiblicher Wirklichkeit zu uns kam. Wer das vergisst, verliert leicht das Zentrum der Inkarnation - und der gesamten christlichen Theologie.
Gerade im Widerstand gegen Entkörperlichung, Abstraktion und Identitätsverwirrung hat der Titel Theotokos besondere Strahlkraft. Er ist nicht Rückgriff, sondern Erinnerung an das Maß des Glaubens: Gott wohnt nicht dort, wo gedankliche Strukturen errichtet werden, sondern dort, wo die unglaubliche Wahrheit in der Freiheit des Glaubens angenommen wird.

7. Spiritueller Epilog – Maria, die hörende Kirche
Am Ziel dieser Überlegungen und dogmatischen Ausformulierungen bleibt das Staunen: Dass Gott Wohnung nahm – in einer Frau, in der Welt, im Fleisch. Maria hat dies nicht selber verursacht, sondern bejahend ermöglicht. Und darin liegt ihr ganzes Vorbild: Sie empfängt, sie trägt, sie gebiert.

Und die Kirche ist wahr, wo sie dasselbe tut: Hören – glauben – bekennen. Nicht sich selbst setzen, sondern sich geben lassen. Die Wahrheit kommt nicht durch Behauptung, sondern durch Annahme dessen, was geschehen ist. Und in dieser Annahme – wie in Maria – wird sie fruchtbar.

Theotokos ist daher kein Ehrenzeichen unter anderen, sondern ein Programm des Glaubens: Gott wird sichtbar, wo der Mensch seiner selbst eingedenk wird – im Leib des Wortes und in der Treue zu der Verbindung von beidem zu einem ...

Autor:

Matthias Schollmeyer

Webseite von Matthias Schollmeyer

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Veranstaltung oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.