Weihnachtswort des Landesbischofs der EKM
Ein Engel für das Kindeswohl

Tafel aus dem spätmittelalterlichen Altar der Kirche St. Sebastian in Pötewitz im Kirchenkreis Naumburg-Zeitz:
Sie wurde mit Hilfe der Kirchlichen Stiftung Kunst- und Kulturgut konserviert. | Foto: Inventarisierung EKM
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  • Tafel aus dem spätmittelalterlichen Altar der Kirche St. Sebastian in Pötewitz im Kirchenkreis Naumburg-Zeitz:
    Sie wurde mit Hilfe der Kirchlichen Stiftung Kunst- und Kulturgut konserviert.
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Weihnachtsbetrachtung: Der Blick wird beim Christfest auf das Kind in der Krippe und auf die Kinder gerichtet. Sie haben in den vergangenen Monaten sehr gelitten. Die Engel stehen für den Schutz von oben, Gottesnähe und Menschenfreundlichkeit.

Von Friedrich Kramer

Die Altartafel in der Kirche St. Sebastian in Pötewitz stellt die Weihnacht dar, wie wir sie kennen: Maria, durch die Jesus das Licht der Welt erblickt, um zum Licht der Welt zu werden. Josef stumm, aber achtsam mit jedem Handgriff. Neben der heiligen Herkunftsfamilie die Engel, mit all ihrer Aufmerksamkeit bei dem Kind; sie sind ihm so nah wie sonst keiner. Zentral hier, wie in jeder Weihnachtsszene: das Kind!

Zwei der vier Evangelien erzählen die Geburtsgeschichte nicht. Vielleicht, weil der Weg zur Heiligen Nacht auch durch sehr dunkle Umstände geführt hat. Bei den beiden Evangelisten der Weihnachtsverkündigung, Matthäus und Lukas, ist das ganze Drama der Geburt dieses Kindes nicht nur zwischen den Zeilen zu greifen: wie der überforderte Verlobte Schaden von der viel zu jungen Mutter abwenden will, indem er sich heimlich aus dem Staub zu machen gedenkt. Wie der Hochschwangeren eine beschwerliche Reise zugemutet wird, weil Rom Steuern erhebt und sie keinen Ort für die Geburt findet. Wie Flucht und Verfolgung dem Neugeborenen in die Wiege gelegt werden.

Wo Marias Kind herkommt, weiß auch Josef nicht. Vielleicht will er es auch gar nicht so genau wissen in jenem Land voller römischer Soldaten. Einsam sind seine Stunden, in denen ihn die Fragen wachhalten. Eine Engelsstimme schneidet in Josefs Gedankennebel: »Josef«, spricht sie, »fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist.« Will sagen: Dieses Kind kommt von Gott, kümmere dich um sein Wohl! Schon der erste Engel im Neuen Testament kümmert sich um das Kind. Er weist Josef zurecht. Dieser besinnt sich, nimmt an, was nicht seins ist, nimmt Jesus hinein in die Familie, gibt ihm seinen Namen: Sohn Davids. Das Auferlegte wird Josef zum Geschenk, und die Nacht wird zur Heiligen Nacht.

Die Darstellung der Heiligen Nacht auf der Altartafel in der Kirche St. Sebastian mit Engeln, anbetend und singend beim Kind, steht in einer langen Tradition gemalter Verkündigung. Die Geburtsgeschichten der Evangelisten Matthäus und Lukas fließen hier ineinander und verbinden sich mit Bildern, die auch unsere Krippenspiele bestimmen. Ausgelassen wird dabei oft der Engel, der die Heilige Familie vor der mörderischen Eifersucht des Königs Herodes warnt und sie auffordert, vor dem Kindermord in Bethlehem nach Ägypten zu fliehen. Anderes hingegen kommt hinzu, das steht gar nicht in der Schrift, etwa die Engel an der Krippe. Durch die Bilder sind sie dort fest verankert.


"Die Weihnachtsengel nehmen uns die Furcht vor dieser Nacht und beflügeln uns, für die Kinder zu tun, was in unserer Kraft steht"

Falsch ist das sicherlich nicht, denn den Engeln in den Evangelien geht es um eines: das Kinderwohl. Bei Matthäus ist es ein Engel, der Josef in die Verantwortung ruft. Der Evangelist Lukas weiß gleich mehrere Engel im Umfeld der Geburt Jesu am Werk. »Fürchte dich nicht!«, ist der cantus firmus der Engel im Lukasevangelium: »Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.« »Fürchtet euch nicht, ihr Hirten! Siehe, ich verkündige euch große Freude … euch ist heute der Heiland geboren.« – Fürchtet euch nicht, denn das Kind bedarf euer, nüchtern und wach und ohne Furcht.

In den vergangenen Monaten haben die Kinder sehr gelitten. Auch wenn die Krankheit sie mehr als andere verschont, haben ihnen die zugemuteten Entbehrungen doch schwer zugesetzt. Durch die Pandemie haben Gewalt, Vereinsamung und psychische Belastungen stark zugenommen; die Schäden sind immens. Ein dramatisches Bild der Pandemiefolgen stellt sich ein, wenn wir in die Eine Welt hinausblicken: Hundert Millionen Minderjährige sind in den Pandemiemonaten in die Armut abgerutscht, sagt eine Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF. Der Missstand, dass schon vor der Seuche Millionen Kinder keinen Zugang zu Bildung hatten, nicht ausreichend medizinisch versorgt wurden und weder gute Ernährung noch sauberes Wasser hatten, verschlimmerte sich in den vergangenen Monaten. Die Studie warnt, dass im kommenden Jahr neun Millionen weitere Kinder an Auszehrung leiden werden. Das ist unerträglich. Es ist schwer, nicht irre zu werden an einer Welt, in der das wirklich ist.

Die Weihnachtsengel nehmen uns die Furcht vor dieser Nacht und beflügeln uns, für die Kinder zu tun, was in unserer Kraft steht. Sie richten unseren Blick auf die Kinder. Kümmert euch um ihr Wohl, geben sie uns zu verstehen, ganz gleich, wie ihr euch zum Infektionsschutz und zu Fragen der Migration positioniert. Jetzt geht es um sie. Lasst euch das Wohl der Kinder hier in unserem Land und der Welt zu Herzen gehen. Seid achtsam, gebt und helft. Zu vielen ist die Engelsstimme längst durchgedrungen; sie setzen sich mit Herz und Verstand für das Wohl der Kinder ein, nicht erst seit der Pandemie. Habt Dank!

Der Kindeswohlengel macht die Nacht zur Heiligen Nacht – einer Nacht voller Gottesnähe und Menschenfreundlichkeit. Sein Ruf mache deine Nacht licht. Uns allen helfe er anzunehmen, was von Gott kommt. Er richte unser Tun und Lassen aus am Wohl der kleinen Seelen. Um des Kindes willen, um der Kinder willen lasst uns beisammenbleiben. Gesegnete Weihnachten!

Der Autor ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Tafel aus dem spätmittelalterlichen Altar der Kirche St. Sebastian in Pötewitz im Kirchenkreis Naumburg-Zeitz:
Sie wurde mit Hilfe der Kirchlichen Stiftung Kunst- und Kulturgut konserviert. | Foto: Inventarisierung EKM
Der Dreiflügelaltar der 1114 erbauten Kirche in Pötewitz im Kirchenkreis Naumburg-Zeitz | Foto: Andreas Mieth
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