Reue – wirkliche Reue! Der gerechtfertigte Judas

Von Rolf Wischnath

Was ist »Reue«? Ein Vorbild echter, ungeheuchelter Reue findet sich in der Leidensgeschichte Jesu. Und zwar bei jemandem, von dem wir es nicht erwartet hätten: bei Judas dem Verräter. Im Matthäusevangelium lesen wir davon: »Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass er zum Tode verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberstücke den Hohen Priestern und Ältesten zurück und sagte: Ich habe gesündigt, unschuldiges Blut habe ich ausgeliefert. Sie aber sprachen: Was geht das uns an? Da sieh du zu! Und Judas warf die Silberstücke in den Tempel, ging fort und erhängte sich. (Matthäus 27,3-8).
In der Enttäuschung über die Tat des Judas, in seiner Verfemung als größter Verbrecher, wird oft dieses Ende seiner Schande nicht mehr bedacht. Man muss nämlich dem Verräter Judas
zumindest zugutehalten: Er ist der einzige Mensch, der als Beteiligter am Justizmord erkennt, dass Jesus Unrecht geschieht. Und er ist der Einzige, der diese Schuld einsieht und öffentlich bekennt. Ja, Judas allein kehrt um von dem Irrtum, in den er sich verstrickt hat. Er bereut. Von keinem sonst, die mitverantwortlich waren am Leiden und Sterben Jesu, wird das gesagt. Die Jünger fliehen. Petrus ist feige – und heult ein bisschen. Pilatus waltet seines Amtes genauso wie die Hohepriester. Das Volk gafft und schreit. Nur von Judas heißt es: Es reute ihn.
Und die Reue des Judas bleibt nicht folgenlos. Er steht ein für das, was er getan hat. Die »dreißig Silberlinge« – seinen Verräterlohn – wirft er hin. Er spricht aus, was uns allen aus-
zusprechen so schwer fällt: »Ich habe gesündigt.« Keine Einschränkung! Keine abmildernde Entschuldigung! Nein, er benennt das Verbrechen, wie es kein Richter schärfer benennen könnte: »Ich habe unschuldiges Blut verraten.«
Damit spricht er, der Verräter, als einziger die Wahrheit im Prozess aus: »Jesus ist unschuldig.« Und dann vollzieht er an sich selbst das Urteil, das nach jüdischem Recht über den zu verhängen ist, der eine falsche Anklage erhoben hat. Er erhängt sich selbst. Denn falsche Ankläger sollen mit derselben Strafe bedacht werden, die sie über den bringen wollten, den sie falsch angeschuldigt haben. Und das Kreuz der Römer war nichts anderes als ein Galgen.
Der Selbstmord des Judas geschieht nicht aus Feigheit. Er bringt sich nicht um, wie sich Hitler oder andere Verbrecher umgebracht haben, nur um ihren Richtern zu entgehen. Nein, Judas stirbt in der Reue – nach dem jüdischen Gesetz des Mose, das er an sich selbst vollstreckt. Er weiß nicht, dass an diesem Tag ein anderer für ihn und seine Schuld sterben wird: der auch für die Schuld des Judas gekreuzigte Jesus. Denn der Selbstmord des Judas kann den Tod Jesu nicht aufhalten. Judas kann es nicht verhindern, dass Jesus auch für ihn – den Jünger Judas – stirbt. Ich glaube: So ist auch Judas gerechtfertigt und nicht in Ewigkeit verloren. Und wenn Judas in Ewigkeit vor Gott nicht verloren ist, wen dürften wir dann heute in unserer Lebenszeit verloren geben? Nicht einmal uns selbst.

Der Autor war Generalsuperintendent in Cottbus. Er lehrt Systematische Theologie an den Universitäten Bielefeld und Paderborn.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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