Heilsame Störung

Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!
Johannes 7, Vers 37 b

Von Sebastian Kircheis

Man stelle sich vor: Heiligabend, die Christvesper hat ihren Höhepunkt erreicht, wir sind bei »Stille Nacht«, da drängelt sich einer nach vorn und ruft: »Her zu mir, wer Durst hat, bei mir gibt’s was zu trinken!« Auch wenn unser Weihnachtsfest und das jüdische Laubhüttenfest inhaltlich nichts miteinander zu tun haben – der Eindruck würde derselbe sein: Hier stört einer gewaltig! Ich stelle mir vor: Die Priester schöpfen Wasser aus der Siloahquelle. Sie balancieren es über den Köpfen durch die Menschenmassen und schütten es am Altar Gottes aus. In die andächtige Stille ruft Jesus: Nicht da, bei mir gibt es das Wasser, das eure Sehnsucht stillt! Damit stellt er die vorfindliche religiöse Praxis radikal infrage. Eine erhellende Störung?
So präsentieren wir uns gern auf Kirchentagen und in der medialen Öffentlichkeit: als Kirche, die fröhlich Glaubensfeste feiert und für jedes Anliegen eine Plattform hat – und seien es Elektroautos als Synodenthema. Die lähmende Relevanz- und Identitätskrise wird dabei ausgeblendet.
Mit der Frage nach dem Durst zeigt Jesus, woran es uns mangelt: Am Eingeständnis der leeren Hände, des unruhigen Herzens, der verdunkelten Hoffnung, der Sprachlosigkeit beim Weitersagen des Evangeliums. Nur wer den Durst eingesteht, wird auch trinken. Nur wer die leeren Hände hinhält, kann empfangen. So wird seine Störung zur heilsamen Störung. Wie das gelingt? Das Bild vom dreischaligen »Römischen Brunnen« hilft: Darin sind wir die zweite, die empfangende Schale. Die überfließende Schale darüber ist Christus. Mit ihm hat die Liebe Gottes eine Kraft gewonnen, die uns erfüllen will: Die Maler zeigen sie als Blutstrahl aus der Seitenwunde Jesu, der den Menschen trifft und füllt mit der Vergebungskraft, mit Hoffnung auf das ewige Leben, mit dem Mut zum Frieden, mit der Liebe der Geliebten. Wer sich so füllen lässt, fließt wieder über. Er braucht kein Programm entwerfen, keine »Kampagne Lebenswasser«. Es läuft einfach über zu allen, denen daran mangelt. Wo-
rauf müssen wir achten? Wo unsere Schale steht. Ist sie ganz auf Christus ausgerichtet? »Wen da dürstet, der komme zu mir!« Dahin, wo er zu Wort kommt, wo das Gespräch mit ihm lebt und die Zeichen seiner Nähe im Mahl empfangen werden. Sich so von ihm stören zu lassen ist erfüllend.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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