Die Hausgötzen entlarven

Fastenzeit: Woran hängt mein Herz? Abhängigkeiten erkennen und Raum für Gott schaffen

Von Andreas Ebert

Am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Auch für zahlreiche evangelische Christen haben die sieben Wochen bis Ostern eine besondere Bedeutung. Viele nehmen sich vor, in dieser Zeit auf etwas zu verzichten: Zigaretten oder Alkohol, Süßigkeiten oder Fleisch, den Fernsehapparat oder das Internet. Entscheidend ist dabei, herauszufinden, wovon ich tatsächlich abhängig bin oder zu werden drohe. Das muss nicht immer »stoffgebunden« sein. Klatsch und Tratsch, pausenloses Arbeiten, zu wenig Zeit für die Familie und Freunde … All das und vieles andere kann zur Angewohnheit geworden sein, die meine Freiheit einschränkt.
Die erste Frage im Blick auf die Fastenzeit ist also die ehrliche und aufrichtige Suche nach dem, was mich konkret persönlich betrifft. Woran hängt mein Herz? Welche Gewohnheiten rauben mir Zeit, Kraft und echte Lebensfreude? »Woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott«, sagt Martin Luther. In der Fastenzeit geht es auch darum, solche »Hausgötzen« zu entlarven, zu benennen und Raum zu schaffen für den lebendigen Gott, der uns befreien will zu unserem wahren Sein und zu echter Lebensfreude und Lebendigkeit.
Vor über 80 Jahren entstand in der Stadt Acron in den USA die Bewegung der »Anonymen Alkoholiker«. 1939 zählte die Gemeinschaft etwa 100 trockene Alkoholiker. Sie beschlossen, die Grundsätze und Erfahrungen, die sich beim Bemühen, Alkoholikern zur Genesung zu verhelfen, herauskristallisiert hatten, in einem Buch zu veröffentlichen. Dort wurde das Gedankengut der Gemeinschaft in zwölf Schritten zusammengefasst und gezeigt, wie Betroffene diese Schritte umsetzen können. Allmählich wurde klar, dass die Prinzipien der Anonymen Alkoholiker auch für viele andere Formen von Sucht oder Gebundenheit funktionieren. Es gibt Spielsucht und Drogensucht, Sexsucht und viele Formen von Essstörungen, notorisch Überschuldete und »Messies« – um nur einige Abhängigkeiten zu nennen. Was aber geht das die von uns an, die auf den ersten Blick weder süchtig noch abhängig sind? Der amerikanische Franziskanerpater und weltbekannte geistliche Lehrer Richard Rohr behauptet, dass wir alle in irgendeiner Form abhängig sind. In einer Leistungs- und Konsumgesellschaft sind es häufig Anerkennung, Erfolg und Wohlstand, eingefleischte Gewohnheiten, fixierte Verhaltensmuster und vor allem unser Selbstbild und unsere festgefahrenen Meinungen, die uns die wirkliche Freiheit nehmen, die uns Jesus verheißen hat. Rohr meint, das Programm der Anonymen Alkoholiker sei der wesentlichste Beitrag Amerikas zur Spiritualität. Es gibt keinen Menschen, der nicht irgendwie abhängig ist, und sei es noch so versteckt. Und er zeigt die Parallelen zwischen dem Evangelium und diesem Programm:
Jesus ruft Menschen in die Nachfolge, damals wie heute. Nachfolge bedeutet zunächst, nüchtern jene Bindungen zu entdecken, die uns auf dem Weg zu Gott blockieren, unsere Denk- und Verhaltensmuster. »Ändert eure Einstellung und Ausrichtung!«: So könnte man den Ruf zu Umkehr und Buße wörtlich übersetzen, der am Anfang seines Wirkens steht. Jesus selbst ist diesen Weg vorangegangen. Er hielt an nichts fest, er »entäußerte« sich seiner Göttlichkeit, wurde Mensch wie wir und gab sein Leben hin im Vertrauen auf Gott. Wer sein Leben festhält, wird es verlieren. Wer anhaftet, bleibt unfrei. Die Gute Nachricht Jesu lautet, dass es eine Alternative gibt, eine Freiheit, die Gott dem schenkt, der sich selbst loslässt.
Das evangelische Fastenmotto 2017 lautet »Sieben Wochen ohne Sofort«. Das bedeutet unter anderem: ohne sich dem Zwang zu beugen, sich sofort alle Wünsche zu erfüllen. Es geht um die Chance, sich von Gott unterbrechen zu lassen, innezuhalten und neue Formen der Lebendigkeit und des Glücks zu erspüren. Wir alle brauchen das. Die Fastenzeit birgt eine große Chance.

Der Autor ist bayerischer Pfarrer und leitet das Spirituelle Zentrum Sankt Martin in München.

Die zwölf Schritte
 1. Anerkennen, dass man seiner Abhängigkeit gegenüber machtlos ist.
 2. Zum Glauben kommen, dass nur eine höhere Macht die eigene Gesundheit wiederherstellen kann. Ursprünglich wurde in diesem Zusammenhang von »Gott« gesprochen. Um aber auch für nicht religiöse Menschen offen zu sein, wählten die Gründer der Bewegung schließlich diese Formulierung.
 3. Den Entschluss fassen, seinen Willen und sein Leben der Sorge Gottes (wie ihn jeder versteht) anzuvertrauen.
 4. Eine gründliche und schonungslose »Inventur« des eigenen Lebens vornehmen.
 5. Vor sich selbst und einem anderen Menschen gegenüber sein bisheriges Fehlverhalten eingestehen.
 6. Die Bereitschaft, lebensfeindliche Verhaltensweisen von Gott entfernen zu lassen.
 7. Demütig darum bitten, dass Gott all solche »chronischen, das Leben behindernden Verhaltensweisen« beseitigt.
 8. Auflistung aller Personen, denen man durch die eigenen Abhängig­keiten Schaden zugefügt hat, und die Bereitschaft und den Willen zur Wiedergutmachung entwickeln.
 9. Wo immer möglich, die Menschen entschädigen, außer, wenn sie oder andere dadurch verletzt würden.
10. Die »innere Inventur« ständig fortsetzen und zugeben, wenn man im Unrecht ist.
11. Durch Gebet und Meditation versuchen, die Beziehung zu Gott, wie ihn
jeder versteht, zu vertiefen und um die Erkenntnis beten, seinen Willen zu sehen und die Kraft zu bekommen, ihn umzusetzen.
12. Nach dem selbst erfahrenen »geistlichen Erwachen« versuchen, die
Botschaft von der Veränderung an andere Betroffene weiterzugeben und seinen Alltag nach den Grundsätzen der 12 Schritte auszurichten.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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