Der schreibende Prophet

Foto: Studio Kirsch, Lutherstadt Wittenberg (Bildvorlage: Stiftung Christliche Kunst Wittenberg)

Von Alf Christophersen

Die gesamte Konzentration des schräg liegenden Propheten richtet sich auf das Papier. Das in Audition und Vision als Offenbarung Wahrgenommene will fixiert werden. Ernst Barlach hat in seinen Holzschnitt eine ungeheure Dynamik gebannt. Johannes schreibt die Zukunft der Welt auf, dokumentiert das drohende Ende aller Dinge – seine Auftraggeber sind Gott und Christus. Die Überlieferungen geben die Insel Patmos als Ort des Geschehens an, genauer eine Höhle. Sie ist für die griechisch-orthodoxe Kirche bis heute eines der maßgeblichen Heiligtümer. Schärfer kann der Gegensatz kaum gefasst sein: Im Fels verborgen, zurückgeworfen auf wenige Quadratmeter, wird die Apokalypse dem Menschheitsgedächtnis übergeben. Die Höhle und der Schreibende transzendieren, also überschreiten sich selbst und verweisen auf die alles umfassende und umbildende Kraft Gottes. Im Rücken hatte Barlach die Grauen des Ersten Weltkriegs und um sich den krisenhaften Beginn der Weimarer Republik. Er mag aber auch an Friedrich Hölderlin gedacht haben, der sich von Patmos zu einer Hymne verleiten ließ, die mit den bald legendären Zeilen beginnt: »Nah ist // Und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst // Das Rettende auch.« So wird dann in der Johannesoffenbarung jenseits aller Vernichtung das Neue aufscheinen, das den Menschen mit Gott und sich selbst bleibend verbindet.

Ernst Barlach, Schreibender Prophet (Johannes auf Patmos), 1919, Holzschnitt

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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