Von Glaube, Liebe und Hoffnung

Foto: Willi Wild
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Reformationsbotschafter Dr. Eckart von Hirschhausen nimmt sich in einem exklusiven Programm Martin Luther vor. Er will unter anderem der Frage nachgehen, ob der Reformator Komiker war. Maria Socolowsky (MDR) und Willi Wild haben den Entertainer getroffen.


»War Luther Komiker?« Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
von Hirschhausen:
Das wäre ein schlechter Komiker, der die Pointe vorwegnimmt. Aber ich bin natürlich als Sprachkünstler sehr froh über Luthers Freude an der deutschen Sprache, über sein Geschick, Bilder, Metaphern, geflügelte Worte zu finden. Und die sind ja so geläufig geworden, dass wir oft gar nicht mehr wissen, dass sie von Luther sind, zum Beispiel: Unterhalten sich zwei Säue am Trog. Was gibt es denn heute? Ach, schon wieder Perlen. Wer nicht weiß, dass »Perlen vor die Säue werfen« eine lutherische Bezeichnung ist, kann darüber gar nicht lachen.
Ich bin selber von Kind auf Protestant und bin mit lutherischem Liedgut aufgezogen worden. Beim großartigen Pop-Oratorium »Luther« von Michael Kunze und dem Komponisten Dieter Falk habe ich kürzlich sogar mitgesungen. Moderne, mitreißende Musicalmelodien – da habe ich Gänsehaut bekommen, als da plötzlich 3 000 Chorsänger und 10 000 Leute im Publikum ergriffen sind, von der Geschichte, von den Konflikten und dem Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Mir wurde plötzlich klar, wie aktuell das alles ist. Wir brauchen heute wie vor 500 Jahren Menschen, die sich hinstellen und sagen: Hier stehe ich und ich stehe zu etwas und ich kann auch nicht anders. Ich widerrufe nicht das, woran ich glaube.

»Humor hilft heilen«, so heißt Ihre Stiftung. An anderer Stelle schreiben Sie von der Wunderwirkung der Musik. Sind Humor und Musik die besseren Tabletten?
von Hirschhausen:
Die Musik wird als Heilkraft unterschätzt, genauso wie Humor und Gemeinschaft. Mein Buch »Wunder wirken Wunder« ist praktisch ein Wieder-
entdecken von dem, was man gerne unter Selbstheilungskräfte subsumiert. Ganz konkret und wissenschaftlich untermauerbar kann Musik Menschen erreichen, die demenziell erkrankt sind. Ich habe für die ARD eine Reportage gedreht, wo ich mich drei Tage in einem Altenheim einquartiert habe. Ich habe den Bewohnern Musik ihrer Jugendzeit vorgespielt. Es ist rührend, zu erleben, wie Menschen dann plötzlich auftauen – Menschen, die ganz weit weg sind, kaum zu erreichen mit Sprache.
Plötzlich fangen sie an, zu sprechen, zu lachen, mitzutanzen. Das ist die Heilkraft der Musik. Musik spielt im Alter zwischen 15 und 25 eine wichtige Rolle, es ist die Zeit intensiver Ersterfahrungen. Die werden offenbar im Gedächtnis viel stärker eingebrannt. Es gibt einen sehr schönen Satz: »Das Herz wird nicht dement, das Ohr auch nicht.«

Welche Rolle spielt die Musik im Luther-Programm?
von Hirschhausen:
Ich genieße es, wie Luther, auf der Bühne das freie Wort zu ergreifen. Im schönen Spiegelzelt in Weimar werde ich ein bisschen singen und das Publikum auch dazu animieren. Ich bin kein ausgebildeter Sänger und mein Gesang ist sicher nicht der reine Genuss. Da gibt es Leute, die das besser können. Aber ich kann mich mit Musik anders ausdrücken als mit Sprache allein.
Es ist auch kein Zufall, dass Luther Kirchenlieder geschrieben hat, die wir bis heute singen. Wenn es da Hits gibt, die seit mehreren hundert Jahren gesungen werden, von Luther, von Bach im Weihnachtsoratorium oder in Passionen, die uns heute noch bewegen, dann ist das doch auch ein kleines Wunder.
Wie Luther damals, mache auch ich deutsche Texte auf bekannte Melodien, beispielsweise auf die Melodie von »Tears in heaven«. Eric Clapton verarbeitet darin den Unfalltod seines vierjährigen Sohnes, der 1991 aus dem 53. Stock einer Wohnanlage gefallen ist. Was gibt uns Trost? »Man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand«, das sagt sich leichter als es ist, wenn einem schreckliche Dinge passieren.

Welche Rolle spielen Kirche und Reformation in dem Programm?
von Hirschhausen:
Ich beschäftige mich mit der Frage: Welche Rolle hat Glaube heute? Was ist uns noch heilig? Was ist der Ablasshandel von heute? Die Deutschen geben eine Milliarde Euro für Nahrungsergänzung und Vitaminpräparate aus. Wissenschaftlich ist das totaler Unsinn. Es ist längst nachgewiesen, dass eine Überdosierung davon schadet und niemandem etwas nützt. Man kriegt mehr Krebs und nicht weniger davon. Das ist alles klar. Trotzdem wird es gekauft. Für mich ist das so ein Beispiel von Ablasshandel. Du kaufst etwas Sinnloses, damit deine Seele gerettet
wird – ohne dich selbst und dein Verhalten ändern zu müssen. Die Mechanik ist dieselbe wie vor 500 Jahren.
Es gibt lustige Zitate von Luther: »Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.« Heute heißt das Lactoseintoleranz. Im Kern hat er natürlich recht. Viele beschäftigen sich mehr mit ihrer Verdauung als mit den großen Fragen: Wofür sind wir hier auf der Erde? Was gibt uns Freude? Was inspiriert uns? Was hat uns Jesus vorgelebt? Was ist davon heute noch wichtig?
Letzten Endes geht es um den Placebo-Effekt. Um die große Trias von Glaube und Liebe und Hoffnung. Wenn ich einem Patienten eine Tablette gebe, die keinen Wirkstoff enthält, und sein Zustand bessert sich, dann ist das doch eigentlich ein Wunder. Zuwendung hat einen unglaublichen Effekt. Und dass Menschen, die wieder an sich glauben können, Kräfte zuwachsen, ist doch längst belegt. Die Ärzteschaft hat diese Heilkräfte, die sich nicht in eine Tablette pressen lassen, in den letzten 20, 30 Jahren ziemlich vernachlässigt. Und es ist höchste Zeit, sie wiederzuentdecken.

Wie ernst ist es Ihnen mit den Wirkstoffen Glaube, Liebe, Hoffnung?
von Hirschhausen:
In den Vorlesungen, die ich für Medizinstudenten halte, sage ich: 40 Prozent der Wirkung von jedem Medikament seid ihr selber. Es ist der Kontext. Zu Luthers Zeiten gab es keine wirksamen Medikamente. Damals haben sie einen Bibelspruch oder ein kraftvolles Wort auf einen Zettel geschrieben und den Zettel gekaut und runtergeschluckt. Bis heute sagen wir, dass man lange auf etwas herumgekaut hat. Das kommt von diesen mittelalterlichen Ritualen. Stellen Sie sich mal vor, Patienten würden nicht die Tablette, sondern den Beipackzettel schlucken – sie würden wahrscheinlich alle Nebenwirkungen bekommen, die sie vorher gelesen haben.

Die beiden Veranstaltungen im Spiegelzelt sind zugunsten Ihrer Stiftung »Humor hilft heilen«. Welchen Zweck verfolgen Sie damit?
von Hirschhausen:
In ganz Deutschland gibt es durch die Stiftung ungefähr 500 Klinikclowns. Der Grundgedanke ist sehr einfach. Lachen hilft gegen Schmerzen. Das lässt sich schnell beweisen. Hauen Sie sich einfach mit einem Hammer auf den eigenen Daumen. Machen Sie das einmal allein und dann noch einmal in Gesellschaft. Sie werden feststellen, alleine tut es sehr lange sehr weh. In Gesellschaft müssen Sie über Ihr Missgeschick lachen und der Schmerz lässt nach. Deshalb sollten Menschen mit Schmerzen nicht alleine sein und etwas zu lachen haben. Das ist der Grundansatz von »Humor hilft heilen«.
In der Bibel wird Jesus mit den Worten zitiert: »Wo zwei oder drei versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Wir nutzen in der Medizin viel zu wenig die positiven Kräfte von Gemeinschaftserfahrung. Menschen können anderen Menschen guttun.
So wie Luther ein Priestertum aller Gläubigen ausgerufen hat, rufe ich ein »Heilertum aller Gläubigen« aus. Damit meine ich, dass man nicht zu einem Guru rennen, in Indien oder in Japan, oder bei einem ayurvedischen Wunderheiler in Sri Lanka das Heil suchen muss. Das »Heilertum aller Gläubigen« wirkt überall, wo Menschen sich füreinander engagieren und einsetzen. Es tut einfach gut, wenn man im Kreis sitzt, miteinander still wird und das Gefühl hat, die Menschen meinen es gut mit dir und wünschen dir Gutes.
Und du legst ihnen vielleicht die Hand auf oder auch die Hand auf die Schulter. Uralte kleine Rituale könnte man tun, ohne falsche Versprechung, und ohne falsche Hoffnung zu wecken. Dafür möchte ich mich in der evangelischen Kirche einsetzen: Menschen mit existenziellen Fragen und Krisen nicht alleine zu lassen. Ich will nach Formen suchen, die modern, zeitgemäß und verantwortlich sind.

Was bedeutet für Sie heute, evangelisch zu sein?
von Hirschhausen:
Evangelisch wird oft als etwas sehr Nüchternes abgetan. Damit tun wir, glaube ich, dem Luther unrecht. Ich habe mit dem Kirchenhistoriker Volker Leppin studiert. Er schreibt, dass Luther in Teilen auch ein großer Mystiker war. Er wusste sehr wohl um die Kraft von Ritualen. Ich kann jeden verstehen, der mit kirchlichen Formen nichts mehr anzufangen weiß. Aber als Mediziner kann man einfach mal anerkennen, wie viel sozialpsychologische Weisheit in der Bibel steckt. Wer gibt, der empfängt, das ist bis heute wichtig.
Wir leben in einer Zeit, wo es ums Haben geht, um Status, um Besitzen. Das macht die Menschen seelisch total arm. Wir kaufen uns Dinge, die wir nicht brauchen, von Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Das ist eigentlich ein total idiotisches Spiel.
Da hat Kirche bis heute eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich zu sagen: Es gibt einen Raum innerhalb der Gesellschaft, wo Status keine oder zumindest eine geringere Rolle spielt. Ob du mit dem Porsche, dem Fahrrad oder dem Rollstuhl in die Kirche kommst, ist gar nicht wichtig. Und ob du 5 Jahre, 50 oder 95 bist, ist auch nicht entscheidend. Wo gibt es noch Institutionen, die so eine verbindende Kraft haben?

Was schätzen Sie an Luther?
von Hirschhausen:
Ich finde längst nicht alles gut an Luther. Seinen Antisemitismus beispielsweise. Aber mir machen viel mehr die Menschen in Deutschland Sorgen, die heute genauso antisemitisch denken wie vor 500 Jahren. Die haben nichts dazugelernt.
Von Luther kann man die Grundfreiheit lernen, nicht mit der Horde zu grölen, sondern zu sagen, was einem selber wichtig ist. Dafür einzustehen, auch wenn es wehtut und unangenehm wird. Das ist eine Haltung, vor der ich absolut Respekt habe.

Foto: Willi Wild
Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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