Projekt Weltethos – quo vadis?

Hans Küng, schweizer Theologe und katholischer Kirchenkritiker. Wegen seiner Kritik am Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit wurde ihm 1979 die kirchliche Lehrbefugnis entzogen. Am 19. März wird er 90 Jahre alt. | Foto: epd-bild
  • Hans Küng, schweizer Theologe und katholischer Kirchenkritiker. Wegen seiner Kritik am Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit wurde ihm 1979 die kirchliche Lehrbefugnis entzogen. Am 19. März wird er 90 Jahre alt.
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Zum 90. Geburtstag von Hans Küng, dem Mitbegründer der Stiftung Weltethos

Von Felix Leibrock

Was für ein Großereignis! 1993 treffen sich in Chicago mehr als 6.000 Menschen verschiedenster Religionen. Ihr Ziel: Das Formulieren einer gemeinsamen Ethik. Der Einlader: Professor Hans Küng, katholischer, in Rom in Ungnade gefallener Theologe. Das Ergebnis: Eine Erklärung zum Weltethos. 1995 gründet Hans Küng dann die Stiftung Welt-
ethos.
Im Vergleich zu diesem Schwung und dem internationalen Aufsehen zu Beginn ist es heute um das Projekt Weltethos stiller geworden. Dabei wäre ein solches Projekt angesichts von kriegsbedingten Fluchtwellen, religiösem Überlegenheitsdenken und oft ethikbefreitem Regierungshandeln in Nordkorea, Syrien und anderswo nötiger denn je! Warum ist das Projekt Weltethos nicht ständiger Gast auf der Münchner Sicherheitskonferenz oder in den Vollversammlungen der Vereinten Nationen (UN)? Gerade jetzt in Zeiten so vieler religionsbedingter Kriege? Warum verliert das Projekt an Relevanz?

In starkem Maße mit dem Initiator verbunden

Erstens: Das Projekt Weltethos ist in starkem Maße mit dem Initiator Hans Küng verbunden. Karitativen Stiftungen oder Projekten, die zu sehr mit einer einzigen, dazu noch charismatischen Person verbunden sind, droht ein massiver Verlust an öffentlicher Präsenz, wenn sich der Initiator aus dem operativen Geschäft zurückzieht. Hans Küng ist zwar noch Ehrenpräsident der Stiftung, aber der Versuch, im Jahr 2013 mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler einen renommierten, international bekannten Nachfolger als Leiter zu gewinnen, ist gescheitert.
Zweitens: Bereits 1948 hat die UN die Menschenrechtscharta verkündet. Angesichts vieler Staaten, in denen Religion und Staat strikt getrennt sind, hat eine solche Charta eine größere Chance als verbindlich angesehen zu werden, als eine von Religionsgemeinschaften formulierte Erklärung. Sollte man meinen. Aber trotz dieser Charta fällt es der UN oft schwer, bei kriegerischen Konflikten und daraus resultierenden humanitären Katastrophen mit einer Stimme zu sprechen. Menschenrechte haben dann allenfalls eine rhetorische Lobby. Ein gegenüber den Menschenrechten noch allgemeineres und von Religionen formuliertes Weltethos bewirkt erst recht kein politisches Einlenken oder Umdenken.
Drittens: Je mehr Religionen sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen, desto kleiner wird dieser Nenner. »Menschlichkeit«, »Wahrhaftigkeit«, um zwei der Forderungen des Projekts Weltethos zu nennen – wer würde sich dazu nicht bekennen? Wörter wie Seifenblasen: Dehnbar, durchschaubar und schnell am Zerplatzen.
Selbst der größte Despot würde Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit im Zweifel für sich beanspruchen. Was bei solchen Begriffen fehlt, ist die Konkretion: Was bedeutet Menschlichkeit angesichts der Bilder aus Ost-Ghuta? Angesichts zerfetzter Kinderkörper, schreiender Mütter, blutender Straßenhändler? Wie ist hier konkret und unverzüglich politisch zu handeln?
Viertens: Die Stiftung Weltethos steckt in einem sprachlichen Dilemma. In ihrer Erklärung von 1993, ihrem Fundament, fordert sie Menschlichkeit, Gegenseitigkeit, Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit. Dazu noch die Partnerschaft von Mann und Frau. Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft war 1993 noch nicht im Blick?! Und heute?! Statt Verben also Hauptwörter mit Endungen auf -keit oder -schaft. Solche Hauptwörter machen die Dinge statisch, ja statuarisch. In jeder Stilfibel steht: Verben statt Substantive.

Unverständlich, antiquiert, voller Allgemeinplätze

1993 beim Chicagoer Gipfel ist ein Text herausgekommen, der den Charme einer Verwaltungsvorschrift im Justizministerium versprüht. Dabei gibt es gute Vorbilder. Die Zehn Gebote, zum Beispiel in Luthers Übersetzung, kennen keine Wörter, die auf -keit oder -schaft enden. Stattdessen dynamische Verben: Du sollst nicht töten, ehebrechen, stehlen. Dahinter stecken Bilder, die zum Nachdenken über das Tun (Tätigkeitswörter!) motivieren. Übe nicht Sorgsamkeit, stattdessen praktiziere Lebendigkeit, heißt der alte Bestseller von Dale Carnegie – nicht! Sondern einprägsam: Sorge nicht, lebe! Ohne einen sprachlichen Heckenschnitt erreicht das Projekt Weltethos mit seinen Texten immer weniger Leute, weil unverständlich, antiquiert, voller Allgemeinplätze. Hat also das Projekt Weltethos in unseren Tagen keinen Sinn mehr? Doch, hat es. Gerade im Schulunterricht hat sich die Stiftung schon tausendfach positiv eingebracht.

Selig, wer eine solche Idee hat

In Schulen mit hohem Migrationsanteil ist es wichtig, das Verbindende zwischen den Religionen in den religiösen Unterricht einzubauen. Auch die Erwachsenenbildung braucht öffentliche Diskussionen über ethisch Gemeinsames der Religionen, gerade auch dann, wenn sogenannte patriotische Europäer das christliche Abendland gegen andere Religionen ausspielen wollen.
Hans Küng hat mit seinem Projekt Weltethos hierzu eine gute, eine wichtige Idee gehabt. Selig, wer eine solche Idee hat! Selig auch die, die die Idee weiterreichen, weitertreiben, weiterleben.

Der Autor ist Leiter des Evangelischen Bildungswerks in München, promovierter Literaturwissenschaftler, Theologe und Schriftsteller.

Das Projekt Weltethos ist der Versuch, die Gemeinsamkeiten der Weltreligionen zu beschreiben und formuliert ethische Normen und Werte, welche von allen akzeptiert werden können. Der Initiator des Projekts ist der Theologe Hans Küng. Vom 28. August bis 4. September 1993 trafen sich in Chicago Vertreter vieler verschiedener Religionen zum Weltparlament der Religionen, um ein Regelwerk zusammenzustellen, das die Menschenrechtserklärung von 1949 ethisch begründen sollte. Es beteiligten sich 6 500 Menschen aus 125 Religionen und religiösen Traditionen. Sie einigten sich in der Erklärung zum Weltethos unter anderem auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit, der Solidarität, Toleranz und Gleichberechtigung.

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Online-Redaktion

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